TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Oktober 2001
 

Welcome to Schill City

Machtwechsel in Hamburg. Eine Koalition aus CDU, FDP und dem triumphierenden Newcomer Schill wagt ein politisches Abenteuer.

H

amburg-Innenstadt, Johanniswall. Dunkle Backsteinmauern, schwere Türen, ein schöner alter Paternoster ruckelt in den vierten Stock jener Behörde, wo Ronald Barnabas Schill kommende Woche als Innensenator Platz nehmen soll.

Noch sitzt hier Olaf Scholz, 43, ein jovialer Sozi, Baureihe Neue Mitte, zugleich Vorsitzender der Partei. Er ist entschlossen, nicht geknickt zu sein. “Es ist ganz furchtbar doof, abgewählt zu werden, aber wird dürfen nicht beleidigt sein“, predigt er den Genossen. Weil es doch fatal wäre, wenn seine 44 Jahre an die Macht gewöhnte SPD “sich jetzt jahrelang nur fragen würde, warum die Welt uns nicht verstanden hat“.

Natürlich hat Scholz all die schlauen Analysen gelesen, die Wählerwanderungen studiert. Er weiß um das Bröckeln der Milieus und der politischen Bindungen. Auch um die Fehler: Lange Macht macht bräsig. Der Esprit war klein am Ende, der Charme futsch. Er redet davon, dass man die Leute auch “mitnehmen“, “Sinn stiften“ und “die Bewegung machen“ müsse. Hat offenbar nicht geklappt. Und andere Optionen waren auch nicht mehr offen: “CDU und FDP“, grinst Scholz, “haben jetzt einfach richtig Lust und wollen uns weinen sehen.“

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Es gibt Parallelen zum rot-grünen Ende in Hessen Anfang 1999: Die SPD stabil auf schlechtem Niveau, die Grünen stark schwächelnd, beide in der Ecke. Auch CDU-Angreifer Roland Koch attackierte die lasche Justiz, wollte die Polizei “hart durchgreifen“ lassen. Dazu das Blut-und-Boden-Thema Doppelstaatsbürgerschaft. Genug zum Wechsel.

Der große Unterschied: Das Sicherheits-Halali kam in Hamburg nicht von der CDU, sondern von Schill. Die CDU sackte hier auf lausige 26,2 Prozent, die FDP quälte sich mit nur 680 Stimmen über die Fünf-Prozent-Hürde. Es gab nur einen echten Sieger: Den nassforschen Amtsrichter, der den Bürgern zackigere Sitten versprach.

Viel zu spät begriff die SPD, dass sie in Sachen Kriminalität mehr unternehmen musste. Selbst die Grünen zeigen sich bei dem Thema heute zerknirscht. “Wir sind immer die Weicheier gewesen“, bereut Vorstandssprecher Kurt Edler, “haben immer nur Prävention propagiert, das machen die Leute nicht mit.“

Nun steigt CDU-Vormann Ole von Beust auf ein dünnes Drahtseil. Er lächelt derzeit viel und sagt wenig. Als er vergangenen Freitag im prunkvollen Kaisersaal des Rathauses das Sektglas hob, um mit Amtsrichter Schill und dem dem FDP-Admiral Rudolf Lange auf den flott ausgehandelten Koalitionsvertrag anzustossen, glänzte er vor allem durch den inflationären Gebrauch des Adjektivs “hervorragend“. Nächste Woche wird er in das “Senatsgehege“ übersiedeln, den rechten Rathausflügel, wo der Bürgermeister residiert und die Landesregierung tagt.

Die CDU kalkuliert so: Schill in der Opposition könnte bald noch mehr Beute machen, sich als Märtyrer aufspielen. Hätte zudem reichlich Zeit, seinen Laden auch bundesweit in Stellung zu bringen. Auf unsere Kosten. Also müssen wir ihn in Atem halten, ihn im Amt entzaubern.

Für dieses Kalkül spricht, dass Schill zwar eitel und getrieben, aber wohl nicht übermäßig fleißig ist. Als der Richter einst von der Strafjustiz wegversetzt wurde, hinterließ er einen gewaltigen Berg unerledigte Fälle. Schill treibt seine Allergie gegen liberale Richter und Sozialpädagogen, sein Hass auf junge Anarchos und alte 68er-Typen. Auf den langen Korridoren der Hamburger Innenbehörde dürfte er gegen manche Gummiwand laufen. Der Apparat ist groß, der Personalrat mächtig.

Andererseits wird ein Schill an der Macht größte Aufmerksamkeit genießen. Er lebt vom Lärm. “Wenn Schill harmlos wird“, meint sein Amtsvorgänger Scholz, “fällt er in sich zusammen.“

Der Innensenator Schill wird seine Demagogie ein bisschen zügeln müssen. Sein keckstes Wahlversprechen, die Kriminalität in der Stadt binnen hundert Tagen zu halbieren, hat er schon einkassiert: Das, erklärte er gleich nach der Wahl, könne auch weniger sein und länger dauern. Aber die Schill-Partei bekommt viel Macht, wird in der Hansestadt nicht nur für Inneres, sondern auch für Bau, Verkehr, Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz zuständig sein.

Schill ist geschickt genug, kleine Erfolge groß zu verkaufen, etwa gegen die sichtbarsten Probleme: die offene Drogenszene und die Jugendgewalt. Und er ist hungrig, will den Moment nutzen, nicht warten, bis er in Hamburg Können bewiesen hat. Seine Partei, die schon 1740 Mitglieder meldet, soll sich zügig bundesweit ausdehnen. Im Frühjahr möchte sie gern bei den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt mitmachen, wo es ein fetten Bodensatz von 12,9 Prozent DVU-Wählern abzuschöpfen gilt. Selbst Bayern ist für Schill nicht mehr tabu. Und in Berlin, prahlt Schill-Vize Dirk Nockemann, für die Expansion des Vereins zuständig, überlegten schon “ganze CDU-Bezirksfraktionen, zu uns überzutreten“.

KKann man eine Metropole wie Hamburg, Deutschlands zweitgrößte Stadt, einfach umkrempeln? Hat das die Koalition, die sich “Bürgerblock“ nennt, überhaupt vor? Hamburg ist eine Boomstadt, die Arbeitslosigkeit ist vergleichsweise niedrig, das Wachstum lag 2000 bei 3,4 Prozent. Aber die öffentlichen Kassen sind auch hier leer, die Verschuldung ist hoch. Rot-grün musste rigide sparen, um auch nur die Neuverschuldung halbwegs in Grenzen zu halten.

Nun kommen die neuen Koalitionäre, wollen 500 Polizisten, 250 Hilfssheriffs, 100 Lehrer neu einstellen. Sie haben milliardenschwere Verkehrsprojekte im Programm , um mehr freie Fahrt für freie Bürger zu bieten, wollen selbst die Kindergartenkosten senken. Weil kein Geld dafür da ist, soll eine Radikalprivatisierung à la Thatcher helfen. Der Flughafen, die Landesbank, die Hamburgischen Electrictätswerke, die Wasserwerke, die Lotterie, die Hafengesellschaft und anderer Staatsbesitz stehen auf der Verkaufsliste. Die Nachteile sind bekannt: Mit einem Verkauf ist der politische Einfluss futsch, für alle Zeit fallen auch die zum Teil beträchtlichen Einnahmen weg. “So einen Blödsinn habe ich mich nie getraut“, sagt die scheidende SPD-Finanzsenatorin. “Man kann ein Huhn schlachten, aber dann bekommt man keine Eier mehr.“

Der “Bürgerblock“ verströmt eine gewisse Ruppigkeit, einen derben Pragmatismus, eine Wo-gehobelt-wird-fallen-Späne-Stimmung. Männliche Juristen bestimmen das Geschehen, Frauen sind rar. Das Trio will mehr Disziplin und Benotung in der Schule, eine strengere Justiz und einen strafferen Strafvollzug. Der Verkehr soll schneller fahren können; “diejenigen, die leistungsstark und willig sind“, so heißt es in der Präambel ihres Paktes, will man “besonders fördern“. Schill will auch die Bettler aus der Innenstadt vertreiben und die “Rote Flora“, ein anarchisches Stadtteilzentrum, räumen lassen. Er hält sich deshalb für so gefährdet, dass er zusätzlich zum polizeilichen Geleitschutz auch private Bodyguards einsetzen wird.

Auch intern ist Disziplin Pflicht. Die neuen Partner haben Koalitionszwang bis in die Ausschüsse hinein beschlossen, Anträge dürfen nur im Einvernehmen aller gestellt werden, bei Abstimmungen ist ein “stets einheitliches Votum“ vorgeschrieben. “Wer illoyal ist“, droht von Beust, “dem gnade Gott!“

Nur die FDP hat da noch ein paar verschämte Hemmungen. Am Montag musste sie als letzte Partei das neue Bündnis absegnen, ausgerechnet in Wilhelmsburg, Hamburgs bekanntestem Problemviertel, wo Schill bis zu 42,5 Prozent abstaubte. “Bauchschmerzen“ war das am häufigsten gebrauchte Substantiv. Admiral a.D. Lange, der künftige Schulsenator, lief mit gerötetem Kopf durch die Reihen. Dass die neue Koalition auf dem Gelände des ehemaligen KZ Neuengamme ein neues, zweites Gefängnis bauen will, fanden viele schlicht scheußlich. Im September erst hatte das Parlament einstimmig beschlossen, dort endlich eine richtige Gedenkstätte zu errichten.

Doch nur ein paar Ex-Funktionsträger erregten sich wirklich über die Mesalliance. “Wer mit Schill ins Bett geht, verliert seine Identität“, mahnte Ex-Parteichef Kurt Hansen. “Sie werden ausgetrickst“, prophezeite der alte Senator Biallas der neuen Führungsriege. “Selbstvertrauen ist eine wunderbare Sache – wenn man dafür eine Basis hat.“

So schal Schill auch schmeckt, in Hamburgs FDP, lange klinisch tot, waren die Angst vor Neuwahlen und düstere Erinnerungen an acht Jahre Diaspora stärker als alle Zweifel. “Also ich bin dafür“, raunte eine Delegierte ihrem Nachbarn zu, “sonst sind wir wieder bei drei Prozent.“

Die Mehrheit redete sich die Lage schön. Schill, berichteten die Macher auf den Fluren, sei in den Verhandlungen charmant, besonnen und manierlich aufgetreten. Und das Koalitionsprogramm, prahlt Lange, sei enorm liberal – man hätte es “auch gleich selbst schreiben können“.

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