Haider light
Ein rabiater Hamburger Richter schwingt sich zur politischen Kraft auf.
er Mann, der für Recht und Ordnung steht, ist sichtlich angewidert. Und auch die adretten Bürger, die ihn mögen, recken die Hälse. Denn hinten im Saal macht eine bunte Schar Jugendlicher Rabatz, johlt ironisch: "Mehr Polizei, mehr Polizei!" Die kurzgeschorenen Bodyguards sind schon in Hab-Acht-Stellung. "Sie", schimpft Redner Ronald Barnabas Schill,52, und richtet den Zeigefinger auf seine Gegner, "sind ein schönes Beispiel dafür, in welch verheerendem Zustand sich unsere Stadt befindet." Die vorderen Reihen nicken grimmig, die hinteren lachen sich kaputt. Von draußen weht Musik herein. Da ist eine "Schill-out-Party" im Gange.
Richter Schill ist ein deutsches Unikum. Bei der Landtagswahl am 23. September will er mit seiner "Partei Rechtsstaatlicher Offensive" Hamburgs rot-grüne Koalition aushebeln und "zum Teufel jagen". Denn die schöne Stadt werde von Drogendealern und Linksradikalen beherrscht, dröhnt Schill, "die Interessen der rechtschaffenden Bevölkerung kommen massiv unter die Räder". "Massiv" ist sein Lieblingswort.
Das feine Hamburg fühlt sich plötzlich wie eine Mischung aus Bronx, Lagos und Tirana. "Ganze Stadteile", schimpft Schill, "werden von marodierenden Jugendbanden terrorisiert". Der Richter verspricht, die Kriminalität in der Stadt nach seinem Sieg binnen hundert Tagen zu halbieren. Delinquente Jugendliche sollen wieder in geschlossene Heime verfrachtet werden, straffällig gewordene Ausländer ruckzuck ausgewiesen werden. Schluss mit den "Träumereien vom milden, liberalen Strafrecht".
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Da klatschen die Kleinbürger. Neid, Überdruß und Überllaune finden sich hier wieder. Schill fischt Querbeet: Am rechten Rand, bei enttäuschten Konservativen, auch bei Sozis, die sich benachteiligt fühlen. Schills gutbügerliche Gönner sind verzückt: Denn mit dem Sprengkörper Schill läßt sich nicht nur Hamburgs rot-grüne Regierung attackieren, sondern auch die eher liberale CDU-Führung piesacken. Längst ist CDU-Chef Ole von Beust umgeschwenkt, will nun mit Schill an die Macht. Der Leidensdruck ist groß, weil die CDU hier schon 40 Jahre in Opposition macht.
Auch die einst liberale FDP, in Hamburg zur außerparlamentarischen Splittergruppe abgestiegen, wittert nun Morgenluft. Ihr neuer Chef, ein Konteradmiral a.D., schwenkte letzte Woche Richtung Schill. Das passt nicht ganz in die eher sozialliberale Richtung, die Bundesparteichef Guido Westerwelle, vorschwebt. Doch in Hamburg zählt die große Strategie nicht. Da gilt es vor allem, den Roten und Grünen das Wasser abzugraben. Die Umfragen verheißen Erfolg: Rotgrün hat nurmehr 45 Prozent, CDU (28 Prozent) und FDP (7) könnten dank der Wunderwaffe Schill, auf 15 Prozent Zustimmung hochgeschnellt, den Machtwechsel schaffen. Das wäre, findet Schill, eine "Koalition der Vernunft".
Der Aufstieg des Ronald B. Schill ist ein Lehrstück der Mediendemokratie. Zunächst war der Strafrichter nur durch ein paar drakonische Urteile aufgefallen. "Richter Gnadenlos" nannte ihn, nicht ohne Begeisterung, die Boulevardpresse. Schill trug das wie ein Ehrenabzeichen. Gern zeigte er Härte: 1996 verurteilte er eine psychisch kranke Frau, die zehn Autos zerkratzt hatte, zu zweieinhalb Jahren Haft. Manchmal lockte er Reporter selbst zu seinen Sitzungen – mit dem Versprechen, es werde etwas zu schreiben geben.
Sein Lärm fand ein Echo. Bald hatte er Spaß an seinen flotten Sprüchen. Und so fing Schill an, in Presse und TV über die Justiz vom Leder zu ziehen – gegen die Staatsanwälte, besonders aber die Jugendrichter, dieses Soziologenvolk, das "ideologisch verblendet" stets Milde walten lasse. Hamburg, dröhnte Schill, "hat ein Herz für Verbrecher."
Der braungebrannte Segler kam an. Schnell sei er "für die Medien ein stets umlagerter Stichwortgeber und Unterhalter geworden", beobachtet Günter Bertram, langjähriger Vorsitzender einer Großen Strafkammer des Hamburger Landgerichts. Der schrille Schill war provokant, brach Tabus, machte Schlagzeilen – er profilierte sich als eine Art Pocket-Haider. Bald luden ihn Ortsvereine der Christdremokaten zuhauf zu Vorträgen ein. Bis der CDU-Landeschef die Freunde flehentlich bat, der "konkurrierenden politischen Kraft" doch bitte keine Plattform mehr zu bieten.
Nur die Kollegen litten. Anfangs hielten sie ihn eher für ein psychiatrisches Problem, wollten den frechen Richter kleinkochen. Doch der Streit eskalierte immer weiter, Schill machte sich zum Kronzeugen gegen die Justiz. Der habe "das uns Richtern obliegende Mäßigungsgebot eklatant verletzt", seufzte schließlich die Vorsitzende des Hamburger Richtervereins. Man habe "nachdrücklich das Gespräch mit Herrn Schill gesucht und auch geführt, aber alle Bemühungen, im Sinne des Mäßigungsgebots auf ihn einzuwirken, sind gescheitert."
Im Mai 1999 kam es zum ersten Eklat. Strafrichter Schill hatte im Gericht zwei Zuhörern aus dem eher anarchisch geprägten Umfeld eines Stadtteilzentrums namens "Rote Flora" wegen "ungebührlichenVerhaltens" drei Tage Ordnungshaft aufgebrummt – sie hatten bei der Urteilsverkündung nicht aufrecht gestanden. Über die sofort eingelegte Beschwerde soll er erst nach 52 Stunden entschieden haben – 20 Stunden vor Ablauf der Haftzeit also. Das bescherte ihm eine Anklage wegen Rechtsbeugung und 12000 Mark Geldstrafe. Letzte Woche hob der Bundesgerichtshof das Urteil auf und verwies es zur Neuverhandlung zurück. Schill war hocherfreut.
Schon zuvor hatte er sich als verfolgte Unschuld gefühlt. Der Richter, mittlerweile gegen seinen Willen zur Ziviljustiz versetzt, sammelte in einem schnell anschwellenden Ordner begeisterten Bürgerzuspruch. Beschloss schließlich, die Welle der Begeisterung zu nutzen und eine Partei zu gründen, eine "CSU der Nordens" – Arbeitstitel: "Partei Bürgerlicher Interessen". Bei den Zeitungen des Spinger-Verlages, beherrschend auf dem Hamburger Pressemarkt, fand er damit viel Aufmerksamkeit. Das Boulevardblatt "Bild" trommelte wie zu besten Wildwest-Zeiten gegen die Anarchos der "Roten Flora", auch andere Organe boten ihm breiten Raum. Das hatte, weiß Schill, eine "gewisse Eigendynamik".
Am Anfang gab es Pannen, der Magnet Schill zog viele peinliche Typen an. Inzwischen aber scheint der Parteichef alles im Griff zu haben. Querulanten werden schnell kaltgestellt. Schill hat sich sogar schon zum Bundesvorsitzenden seiner bislang nur in Hamburg aktiven Truppe ausrufen lassen. Vor Klamauk ist ihm nicht bange. "Wer den Stammtisch verteufelt", sagt Schill, " verteufelt das Volk"
Der Mann hat sein Feinbild klar vor Augen: Die alten 68er, die sich heute bei SPD und Grünen finden – auch in der Justiz: "Nach ihrem angekündigten Marsch durch die Institutionen sind sie an ihren Zielen angekommen", brodelt Schill. Vor der Juristerei hatte Schill einst Psychologie studiert, dies aber schnell aufgegeben, weil "das ein ganz schlimmer Bereich war, nur von dem Gedankengut der 68er durchsetzt". Die Kennzeichen: Notorische Milde, zuviel Mitleid, vor allem mit den Tätern. Auch Kriminologen, Psychiater, Bewährungshelfer und Therapeuten seien davon "befallen". In seinen Augen eine schwere Infektionskrankheit. Selbst in der CDU unter Merkel diagnostiziert er einen "erheblichen Linksruck". Den soften SPD-Bürgermeister Ortwin Runde kann er sich ohnehin "bestenfalls als Vorsitzenden eines Kegelclubs" vorstellen.
Aber nun ist Schluss. Nun kommt Schill. Der will, das hat er schon vor Jahresfrist verkündet, das Innen- und Justizressort in Hamburg übernehmen und "energisch zugreifen". Die Haftanstalten des Stadtstaates, räsoniert der Kampfredner, von einem kleinen Ventilator gekühlt, dieser Tage auf seinen Wahlkampftouren, könnten wohl eine gewisse Überbelegung verkraften.
Da johlen die jungen Gegner, brüllen im rhytmischen Rap: "Du, du, du bist das Problem." Die Fans klatschen umso trotziger.
Dieser Text wurde für eine österreichische Zeitschrift profil verfasst
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