Golfen mit Wagner
In Abu Dhabi sprudelt nach dem Öl nun auch globale Kultur. Und alle wollen dabei sein.
s ist nach Mitternacht, als der Maestro endlich im Morgenland einschwebt. Wehenden Schrittes strebt Fabio Luisi durch die Flughafenhalle von Abu Dhabi. Eilig berichtet ihm der Manager den Stand der Dinge: Der Saal besser als erwartet, das Orchester längst vor Ort, gesättigt, auf dem Weg ins Bett. „Ich verstehe“, sagt der zarte Luisi immer wieder. Was genau ihn erwartet, ahnt er nicht. Er war noch nie hier. Morgen, nein, heute Abend soll er hier ein pures Wagner-Programm dirigieren. Für die Scheichs. Ein Novum.
Wagner für die Araber? Von „Austausch“ ist viel die Rede. Seine Exzellenz Zaki Anwar Nusseibeh, Kulturberater des Herrschers, Scheich Khalifa bin Zayed Al Nahyan, gibt den Ton vor. Wagner, sagt der Berater in feinem Deutsch, sei ein Sujet „voller Missverständisse“. Wo dieser Komponist doch eine Sprache spreche, „die alle verstehen können“, so „international und menschlich“, auf „Mythologie und Romantik“ fußend. „Liebe, Kampf, Machthunger“, meint Nusseibeh, „alle diese Themen können uns erreichen.“ Er stammt aus Jerusalem, kam vor über 40 Jahren hierher, diente Scheich Zayed I. als Dolmetscher und Berater, wurde Bürger des 1971 geschaffenen Zusammenschlusses der Vereinigten Arabischen Emirate. Er gibt sich glücklich, die Dresdener Staatskapelle hier zu haben „das Orchester von Wagner!“. Schließlich ist Nusseibeh auch Oberhaupt des Wagner-Verbands von Abu Dhabi. Noch ein Novum. Alles so neu hier.
Enorm, was sie in den Sand gesetzt haben. Luftaufnahmen Ende der 1950er Jahre zeigen, was vorher war: Wüste, darauf ein paar Punkte: Hütten und Zelte. Und das Fort Qasr al Hosn. 1958 floss das erste Öl, die erste Straße wurde 1961 asphaltiert. Nun steht das Fort inmitten eines Meeres von Wolkenkratzern. Eine Zeitmaschine auf fast forward. In Abu Dhabi, Hauptstadt der vereinigen Emirate, ist jeder einheimische Bewohner im Schnitt gut 10 Millionen Euro schwer. Die größte Sorge der Oberschicht: Dass sich die Söhne mit ihren neuen Ferraris totfahren.
Die Nachfahren der Beduinen leben als Minderheit im eigenen Land. Vier Fünftel der Bevölkerung sind Arbeitsimmigranten. Phillipinas putzen, Inder und Pakistani malochen, Libanesen managen. Auch Europäer, Amerikaner, Japaner sind reichlich präsent. Über 20 Milliarden Dollar haben “Gastarbeiter” im vergangenen Jahr nach Hause überwiesen. Und der Boom hält an, Superlativitis und Gigantomanie sind chronisch geworden. Immer neue Alleen und Brücken lässt der Scheich bauen, Schulen, Märkte und Kliniken, Spiel- und Golfplätze en gros. Alles muss state of the art sein, „Weltklasse“, sagt man hier gern.
Maestro Fabio Luisi ist im Emirates Palace untergekommen, einem nagelneuen Prunkschloss von erdrückenden Proportionen, wie aus einem kitischig-blubbernden Märchentraum voller Blattgold, mit 114 Kuppeln, deren Farben des Nachts changieren, die zentrale Wölbung höher als der Petersdom, die größte Suite so groß wie zehn deutsche Durchschnittsmietwohnungen. Pools, Gärten und Strände dehnen sich über 85 Hektar. 2000 Bedienstete aus 50 Ländern halten die Hightech-Herberge in Schwung. Auf dem Marmor vor der Rezeption lässt gerade ein glucksender Knabe sein Spielzeugauto, tatsächlich einen Geländewagen Marke Hummer, wieder und wieder an der Kante eines weichen Läufers kentern. Ein Page richtet das Ding beharrlich auf, von Ohr zu Ohr lächelnd.
Die Staatskapelle Dresden, ausgeschlafen und frisch geduscht, probt, gefühlte fünf Kilometer entfernt, am hinteren Ende der Protzpalastes, im 1200-Sitze-Auditorium. Der Maestro fuchtelt schon vorn am Pult, streichelt und triezt seinen Klangkörper. Der Ouvertüren-Reigen bedeutet Schwerstarbeit für die Musiker. „Verdammt anstrengend“, findet Hornist Julius Rönnebeck. „Beim ,Tannhäuser‘, da spielt man sich einen Wolf“, erklärt Christian Dollfuß, eine Bassklarinette. Sind hier Wagnerianer am Werk? „Als Musiker“, meint Flötist Bernhard Cury lakonisch, „geht man in Graben rein und wieder raus“. Er habe „kein mythologisches Verhältnis zu Wagner“, sagt auch Rönnebeck. Aber zum großen Teil sei das „phantastische Musik“.
Große Debatten führen sie eigentlich nicht. Ob Deutsche hier in Arabien Wagner abliefern können jenen Komponisten, der nach Meinung seiner schärferen Kritiker den Soundtrack zum Holocaust geschrieben hat? Die Wagner-Gemeinde bleibt sich sicher, dass ihr Held rein gar nichts für seinen Fan Hitler kann. Nichts für Cosima und Winifred Wagner, die schon 1923 mit Adolf in Bayreuth anbandelten. Auch nichts dafür, dass sein Walkürenritt von jedem Lautsprecherwagen der NPD herabdonnert.
Gewiss, konzedieren seine Anbeter, war er ein Antisemit. Schwerlich zu leugnen angesichts seines 41-Seiten-Traktats von 1869 über „Das Judentum in der Musik“, dieser berüchtigten Hasstirade gegen “die Verjüdung der modernen Kunst”, die kein Klischee auslässt: Vom geldscheffelnden bis zum hässlichen Juden. Wagner wollte Juden gar nicht erst nicht hören: “Unangenehm fällt unsrem Ohre zunächst ein zischender, schrillender, summsender und murksender Lautausdruck der jüdischen Sprechweise auf.” Und warf sie kurzerhand aus der europäischen Zivilisation: “In dieser Sprache, dieser Kunst kann der Jude nur nachsprechen, nachkünsteln, nicht wirklich redend dichten oder Kunstwerke schaffen.”
Zum Ende sann er gar darüber, “ob der Verfall unsrer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne”; vermochte dies aber nicht zu beurteilen “weil hierzu Kräfte gehören müssten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist.” Half der Komponist sie freisetzen? Tintenfässer sind über diese Frage geleert worden. Die Weichzeichner werden nicht müde. Aber auch die Gleichung Wagner+Hitler=Holocaust gilt, gelinde gesagt, als unterkomplex.
Von 1843 bis 1849 war Wagner Königlicher Hofkapellmeister in Dresden, hier wurden „Rienzi“, „Der fliegende Holländer“ und „Tannhäuser“ uraufgeführt. Und alles bis zum „Parsifal“ konzipiert. Die Staatskapelle aber, 1548 Kurfürst Moritz gegründet, hat bald 460 Jahre auf dem Buckel. Da bleibt selbst ein Wagner nur Episode. Die Profis spielen regelmäßig in London und Wien, in Tokio, New York, Peking und Sankt Petersburg. Und sind doch “sehr gespannt”, was an diesem skurrilen Ort heute passieren wird. Schon deshalb, meint Flötist Cury, weil der Wagnerismus “immer schon eine Religion” gewesen sei, Heilsversprechen inklusive. “Und eine Art Seelenzustand”, ergänzt Hornist Rönnebeck: “Diese Musik spiegelt ja einen Ideal. Und dieser Palast wohl auch. Ein Stein gewordener Beduinentraum.” Sind sie Botschafter? “Wenn man sich so fühlt, kommt einem das Ganze etwas sinnvoller vor”, grinst Klarinettist Dollfuß. “Sagen wir lieber Pioniere”, findet Rönnebeck.
Es geht auch um Geld und Zukunftsmärkte. Einst, als man noch von Datteln, Fisch, Kamelen und vom Perlentauchen lebte, hielten sich die Besucherströme in Grenzen. Heute haben die Vereingten Emirate eine Öl-Förderkapazität von 2,7 Millionen Barrel pro Tag. Geologen vermuten hier gut ein Zehntel der Weltreserven, fast 100 Milliarden Barrel braunes Stinkegold, dazu Erdgas en masse. Da wird die Gästeliste schnell lang. In Abu Dhabi und der viel lärmigeren Nachbarmetropole Dubai geben sich alle, die bis drei zählen können, die Klinke in die Hand: Politiker, Wirtschaftskapitäne, Kulturmanager, um Krümel des riesigen Reichtums rangelnd. Schon raunt man, Deutschland müsse sich beeilen. Sarkozy war gerade da, hat zwei Atomkraftwerke verkauft und einen Militärstützpunkt am Golf bekommen. Immerhin: Die riesige neue Scheich Zayed Moschee hat einen gewaltigen Kristall-Lüster aus bayerischer Fertigung.
Der Dresdener Orchesterdirektor äugt schon begierig auf die Achse Nahost-Indien. Auch Generalmusikdirektor Fabio Luisi spricht nach einer guten Suite-Nacht vom „Beginn eines Diskurses“, aus dem sich „vielleicht längerfristige Zusammenarbeit entwickelt.“ Die Kulturstrategie der Scheichs aber ist mehrere Zehnerpotenzen gewaltiger. Sie kleckern nie. Noch einmal 100 Milliarden Dollar will man in den kommenden fünf Jahren in Abu Dhabis Infrastruktur versenken. In zehn Jahren soll Saadiyat Island stehen, die „Insel des Glücks“, 2680 Küstenhektar, auf denen laut CDMP, laut Cultural District Master Plan, ein Kulturreservat mit 29 Hotels, drei Yachthäfen und zwei Golfplätzen emporschießen soll, Weltklasse natürlich. Der größte Guggenheim-Bau der Welt ist hier in Planung, dazu eine Dependance des Louvre, rund 20 weitere Museen und Kunstpavillons und ein Zentrum für Darstellende Kunst, das selbstredend alle Maßstäbe sprengen wird. Ein paar Schildkröten und Feuchtgebiete dürften auch überleben. Die Scheichs, lobt die Guggenheim Stiftung, würden “einen Standard für globale Kultur setzen”.
In einem Winkel des Emirates Palace zeigt ein riesiges Modell das künftige Antlitz der Kulturinsel. Es wirkt wie eine irrwitzige Luftspiegelung. Da schiebt sich bereits ein Mammut-Guggenheim wie ein Haufen umgekippter Riesenbauklötzer ins Meer. Der Louvre ähnelt einem just gelandeten UFO. „Es gibt mehr Kunst als je zuvor“, steht auf einer Schautafel.
Kultur, Kultur! Die Warenkultur ist längst verankert. In den Malls tummelt sich alles von Armani bis Zara, auf einer Halbinsel neben dem Palasthotel prangt riesig das Zeichen von Ikea. Hochkultur rückt nach. Schon gibt es in Abu Dhabi einen Ableger der Pariser Sorbonne. Diese Woche eröffnet eine Buchmesse in Kooperation mit dem Frankfurter Vorbild. Ein durch die Zeitalter katapultiertes Land bastelt an seinem Überbau. Kulturkonditoren rücken mit Spritztüten an. Kunst als Sahnehäubchen, als sinnstiftendes Pläsierchen eines neuen Luxusvolkes, das im globalen Basar alle für sich arbeiten lässt? Als Magnet für ein Weltbürgertum, das wie eine Herde von Event zu Event zieht? Und wenn? War der in Dresden Schätze aufhäufende August der Starke, Kurfürst von Sachsen und König von Polen, so anders? Prunkversessen wie die Scheichs, sexsüchtig wie Wagner. Die Silberminen Sachsens gaben es her.
Apropos Wagner. Die Musiker tragen schon Abendgarderobe, spielen hinter der Bühne ihre Instrumente ein. Das Publikum trinkt noch einen im Foyer, der europäische Teil jedenfalls. Die Wagnerianer, weltweit in 136 Wagner-Verbänden von Adelaide bis Zürich organisiert, sind in Scharen herbeigeeilt, um der Einnahme des Nahen Ostens beizuwohnen. Allein das deutsche Kontingent zählt 240 Köpfe. Man sei doch neugierig, welche Gründe ein solches Land haben mag, nun Wagner zu geben, meint eine Dame vom Wagner-Verband Minden. Sie hat sich schon ein wenig umgeschaut und ist enttäuscht: „Es gibt ja nur arme, arbeitende Leute, die man wahrscheinlich nicht zu Trägern des Wagnerianismus heranziehen kann.“ Werden die Scheichs Wagner genießen? „Glaube ich nicht“, schnappt sie. „Aber es ist schon erstaunlich, wie gebildete Nomaden zu einer Kultur finden“, ergänzt ihre Begleiterin. „Vielleicht ist auch ein Geschäftsinteresse dabei“, mutmaßt eine dritte Dame.
Nun füllt sich der Saal. Die Einheimischen, an ihren langen Gewändern zu erkennen, sind nur in FDP-Stärke präsent. Die Musiker wurden gewarnt: Scheichs könnten während des Konzerts telefonieren, plaudern oder einfach hinauslaufen. Nichts davon geschieht. Maestro Luisi lenkt pointiert und dynamisch, das Orchester entfaltet seinen vollen, transparenten Klang. Alle lauschen mit Freuden, applaudieren artig. Vor allem bei der „Rienzi“-Ouvertüre, dieser Mischung aus Highnoon und Hoftanz, mit einem Hauch Militärparade.
Am Schluss ist man verblüfft von so viel Normalität. Ein gutes, anständiges Konzert. Mit Zugabe, mit Umtrunk und vielen warmen Worten. Ein junger Prinz mit schönen braunen Augen sagt Nettigkeiten. Scheichin Lubna Al Qasimi, die Außenhandelsministerin, lobt die „wunderschöne Musik“. Die einzige Frau im Kabinett ist ein Idol, stets von jungen Mädchen umringt, die sich mit ihr fotografieren wollen. „Es hat funktioniert“, raunt Ronald Perlwitz, Sekretär des Wagner-Verbandes Abu Dhabi, glücklich. „Ich glaube, Wagner würde sich auch freuen.“
Eine Begegnung? „Ich bin keinem Araber begegnet“, meint ein Musiker später im Hotellift. Und steuert, auf die welthistorische Bedeutung des Abends angesprochen, einen alten deutschen Trinkspruch bei: „Sagt der Scheich zum Emir: ,Jetzt zahl’n wir und dann geh’n wir.’ Sagt der Emir zum Scheich: ,Dann geh’n wir lieber gleich.’“
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