Wem der Gong schlägt
Die alte Tante Tagesschau steht wie ein Fels in der Bilderflut - gefeit gegen Moden, eitle Blondinen und die gierige Kommerzkonkurrenz
von Tom Schimmeck
ufstehen, Fernsehen. Es ist 5.25 Uhr, ein Montagmorgen. Längst stampft die Maschine Tagesschau. Die Redaktion ist schon zwei Stunden am Werk, das Studio startklar.
5:26 Dagmar Berghoff bugsiert ihr frisch bemaltes Gesicht in das Studio, rückt den Hocker zurecht, ordnet die Zettel auf dem angeschmuddelten Tisch. Das Haarspray steht bereit.
5:28 Maskenbildnerin Anke pinselt nach, die Chefsprecherin betätigt derweil die Fußtaste, die auf dem Monitor vor ihr das eigene TV-Antlitz erscheinen läßt. Sie pult noch einen Fussel vom blauen Sakko.
5:29 Jetzt schnell das Kettchen zurechtrücken, noch einmal mit den Fingern durchs Haar. Dann greift Dagmar B. zum Telefon, weil da ein Wort fehlt im Text. Der Lichttechniker drückt Taste "44.1 Berghoff". Nun kleben 33 Scheinwerfer auf ihr.
5:29:30 Im Regieraum sitzt alles in Position, zwanzig Hände schweben über Knöpfen und Schiebereglern."Vorwarnung nach Hamburg", kräht der Lautsprecher. "Nur die Harten komm' in Garten", flakst die Regisseurin. "Und Achtung", kommandiert sie dann ernst, "Raus!"
5:30:00 Uhr. Sendung. Frau Berghoff zeigt das routiniert angetäuschte Viertellächeln, Charmetemperatur plus 2 Grad. Die erste Tagesschau des Tages immer neutral, sachlich, emotionsfrei . "Zum Abschluß des NATO-Gipfels haben US-Präsident Clinton und Nato-Generalsekretär Solana..." Und Deutschland erwacht wie gewohnt.
Was sie der Nation bedeutet? Die Chefsprecherin sitzt rauchend in der Maske. "Ich bin eine gern gesehene Verwandte, eine vertraute Person", sagt sie. Wenn sie auf dem Schirm auftauche "sagen die Leute: ,Ach, da ist ja die Dagmar'".
Könnte stimmen. Mögen die Nachrichten ncoh so grausam sein, hier rauschen sie hygenisch vorbei. Was zählt, ist der Akt der Selbstvergewisserung des Zuschauers: Die Welt dreht sich. Ich bin noch da. Und das Elend ist immer woanders. "Wir gehören wohl zum Mobiliar der Fernsehzuschauer", hat Kollege Wieben einmal gesagt.
Die Tagesschau ist eine Bastion, erst recht in turbulenten Zeiten zu Kriegsbeginn suchten hier 10,4 Millionen Zuschauer Schutz. Sie ist so verläßlich trocken und rein, eine Windel für eine wirre Welt. Da gibt es keine Lacher, keine Schocker und nie Ironie. "Eigentlich", meint Chefredakteur Bernhard Wabnitz, "ist sie die Inkarnation der Sekundärtugenden Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Ordnung."
Aber eigentlich wird hier nicht gemeint. Hier werden Fakten in glasklare Sätze gegossen. Darüber wachen die Chefs vom Dienst, vor allem die der Abteilung Wort. Heute schlägt CvD Jürgen Lembeck den Takt auf der Wortgaleere. Rastlos schleppen Helfer die Tickerschlangen der Agenturen an seinen Schreibtisch. Der CvD taucht ein, verdaut den Papierwust und wirft, was er für wichtig hält, den Redakteuren hinter sich zu. Die treten später mit ihren penibel formulierten Meldungen heran, über die sich der Chef sodann mit gestrengem Blicke beugt.
"Was man mit sechs Zeilen alles machen kann", spricht Lembeck fast feurig, während er an einer Meldung über eine zerschossenen Brücke feilt, "ganz komprimiert, kompakt, konzentriert. Und es muß 100 Prozent stimmen!" Ein Vorarbeiter im Steinbruch der Wahrheit. Die Vorstellung, durch die Wortwahl oder den Vortrag des Sprechers könnte eine Wertung, gar irgendein Gefühskram in die Meldung geraten, bereitet dem Dienstleiter fast physische Pein: "Da darf nix, aber auch gar nix durchblicken." Obwohl, das räumt er ein, bei der Auswahl der Themen auch subjektive Faktoren eine Rolle spielten. "Subjektiv" aus Lembecks Munde klingt das wie "Analverkehr".
Alles stolze Pflichterfüllung, mit endlosen Plänen, Listen, Durchschlägen. Alles exakt strukturiert: Abteilung Planung, Abteilung Film, Abteilung Wort. Sendung, Konferenz, Sendung. Allein in Hamburg sind fast 230 Leute am Werk, mit einer in 46 1/2 Jahren gestampften Routine. Der Apparat spuckt bis zu 16 Sendungen täglich aus, plus Tagesthemen, Nachtmagazin und Sondersendungen.
Da ist ein stures Selbstbewußtsein gewachsen: Sollen die Privaten doch Firlefanz machen. Sollen Anstaltsgewaltige und Politiker doch rütteln an der Festung. Wir sind der Renner, der klassenlose gemeinsame Nenner. Schwarze Chefs wie Henning Röhl und Edmund Gruber haben das zu spüren bekommen. Der interne Leitsatz lautet: "Chefredakteure kommen und gehen, wir senden."
Was den Erfolg ausmacht? Die Verläßlichkeit, sagen die Macher, die Gewohnheit: "Die Tagesschau wandelt sich wie die Nivea-Dose - minimal." Sie ist eine deutsche Konstante. Sie ordnet den Tag. Und manch Zuschauer glaubt wohl insgeheim, daß die Tagesschau auch ihm zusieht. "Sehr geehrter Werner Veigel", schrieb einmal ein Fan, "bitte wundern Sie sich nicht, wir haben tapeziert."
Selbst die Gestalten vor der Kamera, brummt CvDLembeck, seien letztlich austauschbar: "Die Zuschauer werden auf den Inhalt fixiert, nicht auf Gehabe." Und doch sind es Gesichter, die das Gesamtkunstwerk nachhaltig prägen. Seit Karl-Heinz Köpcke am 2. März 1959 die erste Tageschau verlas, sind die Nachrichtensprecher der ARD zu Stars aufgestiegen.
Vor allem das Boulevard nimmt regen Anteil an ihrem Leben. Ihr Geplapper ist willkommen, ihre Hobbys und Kleider, ihre Reisen, Partner und Rezepte liefern gern gedruckten Storystoff. Zoff und Pannen sind besonders willkommen. Schon der Schaukampf zwischen "Raschel-Köpcke" und "Stotter-Stöck" vor 20 Jahren war ein Spektakel, die Hollywood-Wirrungen der Susan Stahnke lösten um die Jahreswende gar ein mittleres Medienbeben aus. Der tiefe Fall von "Stänky" ist den Kollegen eine Lektion gewesen. "Wer Anstalten macht, auszubrechen", resümiert Eva Herman, "läuft Gefahr, schnell entthont zu werden." Nur Neuling Susanne Daubner schüttelt den Kopf: "Ich verstehe das alles nicht, es ist einfach mein Job. Ich präsentiere die Nachrichten und Punkt."
Das Personal am Sprechertisch ist Volkseigentum. Und wird so selbst zur Nachricht: Jens Riewas neue Nase, Ellen Arnholds Umzug, Hermans Trennungen und Hochzeiten. Manch Vorleser weiß die Star-Rolle zu nutzen allerlei Shows, Schnulzparaden und Heimatserien, auch private Galas oder Werbung sichern ein hübsches Zubrot. Man ist auf jeder Party da, auf Sylt und Mallorca sowieso.
"Das ist wie bei Kindern", meint Sprecherin Eva Hermann, "die muß man machen lassen, bis es sie ankotzt." Ja, auch sie habe die Berühmtheit "jahrelang ausgekostet", nun aber "komplett damit abgeschlossen", zugunsten eines "normalen Lebens mit Kind und einem Mann, der mit dieser Kacke nix zu tun hat". Wer in dem Tamtam steckenbleibe, ist in ihren blauen Augen "eine bedauernswerte Persönlichkeit".
Ach du schnödes Scheinwerferlicht. "Wir haben wohl alle mal die Phase gehabt da nimmt man vieles mit, macht Homestorys und läßt sich ein bißchen feiern", sagt Sprecher Jens Riewa, der da immer noch recht ungeniert ist. Beim letzten Mal, prahlt er, "bin ich nur umgezogen, weil ich ein neues Loft für meine Klamotten brauchte". Gierig stürzt er sich in seine Post "ein Querschnitt durch den gesellschaftlichen Wahnsinn Deutschlands", sagt der Ossi. Fans breiten ihr Leben aus oder fragen nach seinen Klamotten. Frauen schicken Wohnungsschlüssel, drängen auf Heirat. Mal fühlt er sich als "Beichtvater der Nation", mal als "Traumschwiegersohn". Das irritiert und schmeichelt zugleich.
Und doch hüten sich die Vorleser davor, ihre Rolle zu überschätzen. "Man wächst da rein", sagt Obervorleserin Berghoff artig. "Und wenn man sich auch kritisch betrachtet, hebt man nicht ab." Am 31.12.99 um 20 Uhr will die Mutter der Mutter aller Nachrichtensendungen ihren Abschied geben.
Ihre Tagesschau soll ewig währen. "Das Schema ist genial, es ist alles perfekt", glaubt Riewa. "Da sitzt so ein Hansel und immer rechts. Es ist wie Familie - ein Hort. McDonalds funktioniert genauso." "Das Gefäß isses", meint auch Claus-Erich , Moderator der Nachmittags-Tagesschauen. " Dagmar Berghoff auf Pro7 wäre nix." Boetzkes kann richtig schwärmen von der "Selbstbeschränkung", der "Kargheit" der Sendung: "Bei uns gibt es ja nicht einmal eine Kamerafahrt. Das könnte auch das russische Staatsfernsehen sein."
Es gebe, erklärt Off-Sprecher Peter Katzantzakis nicht ohne Stolz, einen ganz spezielle Tagesschau-Sprache "ein hochseriöses Understatement, so gerade nicht mehr tantig, aber um Gottes Willen nicht marktschreierisch". Ihn kennt kein Zuschauer, denn er spricht nur, wenn auf dem Schirm die Bilder laufen. Für ihn ein Vorteil: Katzanzakis fährt nach getaner Arbeit unbehelligt in T-Shirt und Jeans auf dem Moped davon und freut sich seines Privatlebens.
19:40 Uhr Frisch geschminkt und parfümiert sitzt Jens Riewa am Katzentisch beim CvD Wort, um die frischen Meldungen zu lesen. Er raucht und wackelt mit den Füssen. Mit seinem Edelfüller malt er einen dicken Strich an jedes Satzende.
19:45 Heißt es Kriegsführung oder Kriegführung? Der CvD tastet nach dem Duden: "Beides geht, Kriegsführung ist besser."
19:50 Riewa schlägt in einer alten Schwarte die Aussprache von Prizren nach. Dann weht er ins Studio.
20:00 Der große Gong ertönt, die Krönung des Tages. Berghoffs fast triumphal klingende Ansage kommt vom Band: "Hier ist das erste deutsche Fernsehen mit der Tagesschau". Riewa grüßt das Volk und liest los. In der Regie sind nur die knappen Kommandos zu hören: "Vorwarnung", "Ab", "Wechsel", "Achtung", "Zehn", "Und raus". Noch um 20:13 wird eine letzte Meldung nachgeschoben. "Mich schockt nichts mehr", sagt der Sprecher, "höchstens Tomatensosse auf der Krawatte."
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