Als Softie zum Sieg
CSU-Kandidat Edmund Stoiber umschmeichelt Deutschlands Mehrheiten. Das Berliner Kanzleramt scheint zum Greifen nah.
von Tom Schimmeckk
Ein Meer von lila Luftballons. Die Frauen-Union von CDU und CSU ist in Ludwigshafen aufmarschiert, um Edmund Stoiber, 60, zuzujubeln. Man trägt kleine „@mund“ -Aufkleber mit rotem Kussmund. Ein junges Mädchen hat sich gar ein Herz auf die Wange gemalt und Stoiber reingeschrieben. Die Stimmung ist freudig erregt.
Der Kanzlerkandidat entsteigt dem chicen, weißen Wahlkampfbus en famille mit der jüngeren Tochter Veronica, einer angehenden Juristin, und Frau Karin, die er daheim „Muschi“ nennt. Ludwigshafen, das ist die Keimzelle von Helmut Kohl. Doch von dem ist heute keine Rede mehr. Herr Stoiber lässt sich von der neuen CDU-Bürgermeisterin empfangen, die auch Vertreter des ortsansässigen Chemieriesen BASF hinzugebeten hat. Während Papa sich für einen Plausch mit der Industrie zurückzieht, besichtigten seine Damen eine Kaffeerösterei.
Er hat Milde getankt, der strenge Stoiber, lächelt fast fröhlich um sich. Welch wundersame Wandlung. Wo ist der bissige Oberlehrer geblieben, der seine Zuhörer meist gefriergetrocknet hinterließ? Wo der scharfe Exorzist, der die Roten mit dem Kruzifix jagt? „Mir stinken die Linken“ hat er sich einst aufs Auto geklebt. Jetzt hat er fast alle lieb.
Die Sonne lacht, das weiße Haar glänzt, Kandidat und Entourage schreiten durchs Shoppingcenter, wo gerade, unter dem Motto „Jetzt ist aber Schluss!“, der Sommerschlussverkauf tobt. Vor dem Coiffeur johlen ein paar Anhänger, eine Kundin mit Shampoo-Krone klatscht begeistert. Schnell ein lustiges Foto, ein kleiner Scherz, und weiter. Wie am Schnürchen läuft alles. Die Herren vom „Stoiber-Team“, die stets präsenten Kommunikationsstrategen, sind hochzufrieden.
Natürlich muss Stoiber sich ins goldene Buch der Stadt eintragen. Blumen sind frisch dekoriert, Sekt steht bereit. „Mein Gott, Frauenpower“, strahlt der hereinstelzende Kandidat. Die Damen sind schon wieder da, auch die Spitzen der Frauen-Union. Dazu, im rosa Jäckchen, die hochschwangere Katherina Reiche, 28, Familien-Expertin in Stoibers Schattenkabinett, das er gern „Kompetenzteam“ nennt. Trägt sie ein Kreuz am Halskettchen? Nein, es ist ein „K“. „Ach, Frau Reiche“, grüßt Stoiber und schielt auf ihren großen, runden Bauch, „wie geht’s Ihnen, gut noch?“
Die Berufung der jungen Frau aus dem Osten, die in wilder Ehe lebt, obendrein für den Import embryonaler Stammzellen eintritt, hat Teile der Partei tief verstört. Kardinäle haben gemurrt, „Radio Vatikan“ mahnte, „die CDU sollte sich an ihr ‚C’ erinnern“. Ein kalkuliertes Risiko. Für den nach Modernität lechzenden Stoiber kam der Überraschungscoup grade recht. „Das hab nur ich machen können", befand er befriedigt nach gelungener Tat.
Stoiber weiß: Er muss die ganze Nation gewinnen, nicht nur das angestammte Bayernland. Also hat er die Tracht in den Schrank gehängt und sich für seine „Sommertour“ vor allem den Norden und Osten vorgenommen, ist durch Discos, Fabriken und Schlösser gezogen, mit Bergbahnen und Hafenschiffen gefahren. Zwischendrin, für das internationale Flair, hat er Russland und Frankreich besucht, auch die deutschen Truppen im Kosovo, und sich mit den lieben Wolfgang Schüssel, dem er früh zum Pakt mit Haider riet, auf dem Bayreuther Wagner-Hügel getroffen. Man habe sich „lange in gewohnt freundschaftlicher und herzlicher Atmosphäre“ unterhalten, heißt es in Stoibers Internet-Tagebuch.
Die Strategie geht auf. Allmählich robbt sich der weichgespülte Stoiber an Gerhard Schröder heran. Auch wenn ihn noch immer nur knapp ein Drittel der Deutschen als Kanzler haben wollen (31 Prozent in Umfragen der vergangenen Woche, Schröder war auf 38 Prozent abgesackt): Die CDU/CSU steht wieder blendend da, käme derzeit wohl auf 42 Prozent (SPD: 35), mit dem Wunschpartner FDP gar auf 51 Prozent. Stoiber könnte Kanzler werden.
Im Rathaus von Ludwigshafen nutzt der Kandidat die kleine Zeremonie, um „ein paar Anmerkungen“ zu machen, redet leise, verständnisvoll, fast väterlich. Und schon rauscht er, umringt von Männern mit Mäppchen, hinein in den großen Bus, von Blaulicht begleitet, weiter zu den wartenden Massen. Hurtig in die Maske, das Gesicht auffrischen, dann klatscht er in die Hände, ruft reibend „Sooo!“ und stürzt sich ins Getümmel. Der Platz brodelt, trällert, jubelt „Edmund, Edmund“. Nur ein Fotograf schimpft leise: „Der guckt immer nach unten, wie wenn er Geld sucht. Das müsst ihr ihm noch beibringen.“
Kein Zweifel: Stoiber hat hart an sich gearbeitet. Seit dem furchtbaren Auftakt im Januar, als der Kandidat die Fernseh-Talkerin Christiansen mit „Frau Merkel“ ansprach und sich auch sonst fruchtbar verhaspelte ("Das heißt also Absenkung des Nach..., des, des, des, des, des, na, des, des Alters der Kinder...“) hat er seine Rhetorik gestrafft und gezähmt. Ist es Altersmilde oder der größte Dressurerfolg der Wahlkampf-Zirkusgeschichte, fragen sich die Beobachter.
Der Asket, dieses Monument kalter Strebsamkeit, sucht in die Rolle eines moderaten Mannes der Mitte zu schlüpfen. Unter Aufsicht von Michael Spreng, Ex-Chefredakteur der „Bild am Sonntag“ und nun Leiter des „Stoiber-Teams“, wurde der starre, oft rechthaberisch wirkende CSU-Chef zum soften Retter der Nation, zum „ernsten Mann für ernste Zeiten“ umgedeutet. Technokrat, Zahlenhuber, Aktenfresser? Das dient doch dem Lande, sagt das Spreng-Kommando, und preist den Klienten als Idealkreuzung aus bayerischer Bodenständigkeit und preußischer Pflichterfüllung. So wird das Klischee des rechten Scharfmachers, gegen das die SPD so gern agitiert hätte, geschickt unterlaufen.
Tatsächlich war Stoiber ja nie der dampfende Donnergott, den sein Meister und Mentor Franz-Josef Strauß verkörperte. Der Knabe aus Oberaudorf, ein Kaufmannssohn aus armen Verhältnissen, hat sich sehr fleißig hochgearbeitet, erlernte die Juristerei, promovierte über den „Hausfriedensbruch im Licht aktueller Probleme“. 1972 startete Stoiber im Bayerischen Staatsministerium für Landesentwicklung und Umweltfragen. Wie vom Reißbrett die CSU-Karriere: Junge Union, Kreistag, Landtag, Generalsekretär, Minister, Ministerpräsident. Er wurde gestählt in den harten Männerkämpfen der CSU, geprägt von der unbeschränkten Herrschaft dieser, wie der Alt-68er Christian Semler ehrfürchtig konstatiert, „straff geführten, geradezu leninistisch operierenden Einheitspartei“. Strauß war der König, Stoiber sein General und Exekutor - his masters voice. Das „blonde Fallbeil“ schlug dort zu, wo der Alte nicht konnte oder wollte, wetterte gegen Sozis und andere rote Chaoten, säuberte auch die eigene Partei von Störenfrieden. „Gott vergibt, Stoiber nie“, hieß es einst unter Christsozialen.
1982 wurde er Chef der Staatskanzlei, im Herbst 1988, als Strauß von seinem letzten Jagdausflug nicht zurückkehrte, bayerischer Innenminister, 1993 dann selbst Ministerpräsident. Gern prügelte er die liberalen FDP-Reste in Kohls Bonner Koalition. Gegen neue Gewächse daheim am rechten Rand, vor allem die „Republikaner“, kämpfte Stoiber mit rechten Sprüchen, dröhnte mit den Vertriebenen-Verbänden, gab sich Europa-skeptisch und gruselte sich vor der „Asylantenflut“ und der „multinationalen Gesellschaft auf deutschem Boden, durchmischt und durchrasst“. Ein Spruch, den er später bedauerte.
Zu solch einer Sprache hält er heute Distanz, konzentriert sich darauf, sein Bayern als Erfolgsstory zu verkaufen. Die ist ja präsentabel: Bei Wachstum, Arbeitslosigkeit, Verschuldung oder Exportquote steht Bayern im deutschen Vergleich gut da. Das Agrarland, das seinen Aufstieg zum Hightech-Standort begann, als Siemens einst aus Angst vor den Russen aus Berlin floh, hat eine späte, schnelle Industrialisierung hinter sich, die viel Arbeit schuf und Kapital anlockte. Fleißig holte sich Bayern Bundesmittel für die Forschung, förderte auch selbst Zukunftsbranchen. Oberbayern gilt heute als reichste Flächenregion Europas. Die CSU, aufs große Ganze bedacht, ging selbst mit den Gewerkschaften bereitwillig Beschäftigungs-Pakte ein.
Nicht immer allerdings war Bayerns Staatskapitalismus erfolgreich. In Oberfranken ringt die alte Textil-, Glas- und Keramikindustrie mit Problemen, die Arbeitslosigkeit ist hoch. Der Versuch des Freistaates, das Stahlwerk Maxhütte mit Millionen zu retten, scheiterte. Auch die Medienpolitik, ein Steckenpferd Stoibers, kam die Landesregierung jüngst teuer zu stehen. Bemüht, dem Filmhändler und Kohl-Freund Leo Kirch beim Aufbau seines Fernseh-Imperiums zu helfen, lieh die halbstaatliche Bayerischen Landesbank dem jetzt in Konkurs gegangenen Konzern fast 2,2 Milliarden Euro.
Der Ministerpräsident aber, seit 1999 auch CSU-Parteichef, ist es bei Pannen prinzipiell nie gewesen. In eklatanten Fällen von Miss- und Spezlwirtschaft fand sich stets ein anderer „Amigo“ für den fälligen Rücktritt. Stoiber blieb der sauber. Als er im September 1999 seinen Justizminister Alfred Sauter wegen einer Millionen-Affäre opferte, kam es zum Eklat. Sauter sträubte sich, wurde fast aus dem Kabinett getragen und hielt eine Abschiedsrede, in der er Stoiber einen eklatanten Mangel an Anstand, Stil und Menschlichkeit vorhielt. Selbst den große CDU-Parteispendenskandal im vorletzten Jahr, der mit Ermittlungen gegen den Waffenhändler und Strauß-Freund Karlheinz Schreiber (CSU) in Bayern begann, überstand Stoiber bislang unbeschadet. Auch wenn Schreiber ihn, erst um Hilfe flehend, dann auf Rache sinnend, an die „vielen fröhlichen Stunden“ erinnerte, „die wir gemeinsam mit Franz Josef Strauß in München, in Kreuth und in Südfrankreich verbringen durften“.
Der Skandal bringt dem CSU-Chef jetzt sogar Vorteile. Denn die sonst so vielstimmige CDU ist, nach dem Trauma der letzten Jahre, eisern diszipliniert. Ihre Vorfreude auf ein politisches Comeback wiegt stärker als die alte Angst vor der muskulösen Schwester CSU in München. Auch hat Stoiber der großen CDU gleich in Erinnerung gerufen, woran der große Strauß vor 22 Jahren scheiterte, als er Kanzler von Deutschland werden wollte: An mangelnder Unterstützung der CDU. Das soll nicht wieder vorkommen.
Wo doch der Sieg zum Greifen nahe ist. Heute, in Ludwigshafen, wittert man es wieder. Stoiber tritt auf die Bühne, von Kameras und Beifall begleitet, und spürt den „unbändigen Siegeswillen“. Eine Blondine von Privatfernsehen stellt artige Fragen, Tochter Veronica verrät, dass der Papa „lustig, liebevoll, nett“ sei und „wahnsinnig gut trösten kann“. Frau Karin kann sich gut vorstellen, in Berlin „ein gemütliches Zuhause zu schaffen“.
Nur jetzt kein Übermut. Es werde ein „enges Rennen“, prophezeit Stoiber, und geht, nach so viel Milde, auch mal heftig auf Kanzler Schröder nieder. Der „Genosse der Bosse“ sei „nervös“, „von der Rolle“ und könne „um sich nur Lakaien versammeln“. Das tut dem Publikum gut. Gleich werden wieder endlos Autogramme gegeben, die Menge drängt, das Wetgel der Bodyguards glänzt. Stoiber strebt zum Bus zurück. Noch einmal recken sich ihm die Objetive und Mikrofone entgegen. Von hinten branden aufmunternde „Edmund, Edmund“-Chöre auf. Stoiber doziert über junge Mütter, die Familie, die Staatsfinanzen, die Weltlage.
Plötzlich das Unberechenbare: Von links fliegen, mit Schwung, Eier heran. Es klatscht, es spritzt. Stoiber ist gelb. Eine Schrecksekunde, schon haben die Bodyguards den Täter bäuchlings zu Boden gepresst, knien auf ihm, knicken die Beine ein, fesseln die Hände auf dem Rücken. Dann führt die Polizei ihn ab. Hintenherum, nur weg.
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