TOM SCHIMMECKs ARCHIV
März 2008

Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?

Hamburgs Grüne bereiten die erste schwarz-grüne Landeskoalition vor.

von Tom Schimmeck

V

on Identität, Kultur, ja sogar von der “Seele der Partei” ist an diesem Abend viel die Rede, prall gefüllt die Schulaula, in der sich Hamburgs Grüne Mitglieder treffen. Eine Grundsatzentscheidung musste am Donnerstag letzter Woche fallen: Reden wir jetzt mit der CDU?

Hamburg soll Testfeld für ein neues politisches Experiment werden: der erste schwarz-grünen Landes-Koalition in Deutschland. Zuletzt hatte die CDU den Stadtstaat an der Elbe solo regiert. Doch Wahlen am Wochenende haben die Verhältnisse auch hier viel komplizierter gemacht: Ole von Beust, der schwarze Bürgermeister, hat nur mehr 42,6 Prozent, die SPD verbesserte sich nach einem stürmischen Zwischentief auf 34,1 Prozent. Die Grünen kamen auf 9,6, die neu angetretene Linkspartei aus dem Stand 6,4 Prozent. Hamburs FDP scheiterte erneut an der Fünf-Prozent-Hürde.

Schon vor der Wahl hat der smarte von Beust angedeutet, dass ihm eine Allianz mit den von der CDU viele Jahre  als langhaarige, spinnerte Müslimenschen verachteten Grünen durchaus sympathisch wäre. Nun, da tatsächlich Bedarf nach einem Partner besteht, scheinen die Konservativen Feuer und Flamme für die Idee. Der Berliner CDU-Fraktionschef Kauder entdeckt “die eine oder andere Schnittmenge”. Schwarz-grün, jubelt CDU-Generalsekretär Roland Pofalla, sei “für Hamburg interessant und auch für Deutschland”. CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel zeigt sich begeistert.

Die CDU freut sich über eine zusätzliche Macht-Option. Sie kann, so Merkels Kalkül, nur gewinnen, wenn sich neben dem klassischen Bündnis mit dem bürgerlichen Partner FDP und einer großen Koalition mit der SPD eine dritte Möglichkeit auftut. Anders als vor einem Vierteljahrhundert gruseln die Schwarzen sich nicht mehr vor den Grünen. Einst galten sie als linke Öko-Pazifisten, jetzt sind sie berechenbar.

In der Schulaula im Szene-Stadtteil Ottensen ist der Wandel augenfällig: Gesittet und pragmatisch debattieren an die dreihundert Damen und Herren die Frage, ob es nun Zeit ist, mit der CDU ins Bett zu gehen. Hamburger sind ohnehin nicht für ihr heißes Temperament bekannt. Doch einst stritt die hanseatische Grün-Alternative Liste (GAL) heftig über die Frage, ob man selbst mit Sozialdemokraten überhaupt Kaffee trinken dürfe. Schnee von vorgestern. Man ist älter geworden, gesetzter, denkt in kleinen Schritten.

Inhaltlich bleiben enorme Differenzen: Beim Kernthema Umwelt wird sich die CDU immer nach der Industrie richten, will die Elbe noch weiter ausbaggern und ein neues Kohlekraftwerk bauen. Die Schwarzen sind pro Atomkraft, die Grünen vehement dagegen. Die Grünen werfen den Konservativen vor, die soziale Spaltung der reichen Hafenstadt zu vertiefen. Besonders krass sind die Kontraste in der Bildungspolitik: Die CDU setzt weiterhin auf Auslese und getrennte Schulen. Grüne fordern gemeinsamen Unterricht aller Kinder bis zur neunten Klasse. Ihr Slogan: “Neun macht klug”

Aber reden will man, müsse man sogar, finden viele Grüne. „Wenn wir uns nicht  stellen“, ruft die resolute Landeschefin Anja Hajduk in die Aula, „wäre das ein Ausdruck von Schwäche.“ Eine Restfurcht vor dem schwarzen Mann ist zu spüren. Zumal die Grünen schon jetzt gut ein Viertel ihrer Wähler verloren haben. Rotgrün war Jahrzehnte die einzige Hoffnung. Behutsam, fast ein wenig mütterlich, lenkt die Spitzenkandidatin Christa Goetsch, eine ehemalige Lehrerin, ihre grüne Basis in die neue Welt. Schließlich habe der CDU-Bürgermeister ja seine Mehrheit verloren. Wenn der sich in Verhandlungen nicht bewege, könne man immer noch „hoch erhobenen Hauptes in die Opposition gehen“.

Die grünen Strategen sind schon viel weiter. Auch wir sind bürgerlich, sagen sie, längst seien die Milieus nicht mehr so scharf getrennt wie einst. “Wir Grünen sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, erklärt der grüne Landesschatzmeister Helmut Decke, „es ist Zeit, uns neu zu positionieren.” Längst, findet Alexander Porschke, einst grüner Umweltsenator des Stadtstaates, seien „die politischen Abstände zur SPD ähnlich groß wie zur CDU”.

Schwarz-grün wird in vielen deutschen Gemeinden und Städten seit Jahren erprobt, in Frankfurt etwa, auch in zwei Hamburger Bezirken. Die Revolution ist vorbei. Radikalere Kräfte haben sich auch in der Hansestadt längst abgespalten. Die Herausforderung in Hamburg sei, so der grüne Vordenker Daniel Cohn-Bendit, “zu zeigen, dass man mit der CDU einen modernen, aufklärerischen und eben keinen konservativen Vertrag aushandeln kann.“

Erst nach eineinhalb Stunden tritt in der Aula eine Grüne ans Mikrofon, der die neue schwarz-grüne Welt prinzipiell zuwider ist. Sie entschuldigt sich bei den Wählern, warnt vor einer „grün lackierten FDP“. Die Mehrheit winkt lachend ab.


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