TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Oktober 2005
 

Schüssels Glaubenskrieg

Österreich spielte sich in der EU als Bollwerk des Abendlandes gegen die Türkei auf. Ein kalkuliert-sentimentales Trauerspiel.

Von Tom Schimmeck

I

ch kenne keine Vorurteile gegen Österreicher. Ich habe unter ihnen gelebt. Wer weiß, dass der Österreicher, zuvörderst der Wiener, verlässlich schlecht gelaunt und manchmal lustvoll böse ist, kann mit ihm manch schöne Stunde erleben. Die Besten sind bitterböse auf ihr Volk.

Wie alle auf Kleinstaat-Status zurückgefallenen Ex-Großreiche hat auch Felix Austria sein Päckchen an Komplexen und Lebenslügen zu tragen: Zum einen kann die ehemalige k. u. k.-Monarchie für gar nichts irgendetwas, ist also notorisch unschuldig – an Adolf und dem Faschismus schon mal sowieso. Zum zweiten begreift sich Österreich bis heute als Frontstaat und Vorposten des Abendlandes. Schließlich hat man sich 1529 gegen die Türken gestemmt. 1683 gleich noch mal. Und jetzt wieder. Der homo austriacus ist also ein unschuldiger Held. Und a bisserl sentimental ist er auch.

Fleisch wird die verquere Gefühligkeit in Gestalt des katholischen Kanzlers Wolfgang Schüssel. Der hat bis Montag einen einsamen Kampf gefochten gegen die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der EU. Er sagt nicht, dass die Europäische Union ein Christenclub bleiben soll. Oder dass seine Österreicher schlottern vor den Türken. Und sieht sich selbst doch als historischen Vollstrecker.

Der halsstarrig eiernde Schüssel bescherte 24 EU-Außenministern ein hartes Wochenende mit extrem wenig Schlaf. Am Schluss verkündete seine Außenministerin Ursula Plasnik, es habe "nie Zweifel daran bestanden, dass der Beitritt Grundlage der Verhandlungen sein muss". In einer Schulklasse gäbe es dafür Prügel.

Stellen Sie sich vor, sie seien Türke und Wolfgang Schüssel stünde vor Ihnen. Was sehen Sie? A) Einen tapferen Krieger des Abendlandes. B) Einen Wicht ohne Visionen.

Vermutlich B). Schon weil an dieser Front kein Schuss mehr fällt. Die Türkei fiebert seit 40 Jahren nach Europa. Das Land hat, befeuert von der Hoffnung auf eine europäische Zukunft, gerade in den letzten Jahren enorm viel geleistet. Schon seit Kemal Atatürk befindet sich das Land in einem gewaltigen Transformationsprozess. Nicht einmal der ehemalige Erzfeind Griechenland veranstaltet solch ein Theater. Im Gegenteil: Die Griechen, lange die außenpolitisch irrationalste Kraft der EU, sind über viele Schatten gesprungen. Die USA machen sich ohnehin für die Türkei stark. Auch Schröder, Chirac und Blair zeigen sich hier selten einig: Es gibt keine vernünftigere Wirtschafts- und Sicherheitspolitik, als diesem großen, aufstrebenden Brückenstaat die Hand zu reichen und das kommende Jahrzehnt der Verhandlungen zu nutzen, ihn so nah wie möglich an die EU heranzuführen.

Was also treibt Herrn Schüssel um? Der Geist der glücklosen Frau Merkel, die Europas konservative Regierungschefs von Estland bis Griechenland seit langem mit ihrer Idee einer "privilegierten Partnerschaft" für die Türkei nervt? Zum Glück völlig erfolglos übrigens. Angela Merkel hat die Wiener Freunde über ihr außenpolitisches Sprachrohr jetzt wissen lassen, sie fände deren Kurs "sehr mutig und vernünftig".

Klar ist: Schüssel wollte sich für das kroatisch-katholische Brudervolk in die Bresche werfen. Auch kennt er die Umfragen, denen zufolge seine Österreicher zu 90 Prozent gegen einen EU-Beitritt der Türkei sind, inklusive der jämmerlichen Sozialdemokraten. Die Rumpf-FPÖ plakatiert in der Hauptstadt: „Wien darf nicht Istanbul werden". Und: „Wien statt TürkEU“. Aba bittschön, Rassisten samma neet, naa, werden sie dort jetzt sagen.

"Eine giftige Mischung aus historischem Vorurteil und aktueller Angst" diagnostiziert hier der britische Guardian. "Da mischt sich xenophob-populistische Taktik mit tief empfundenem christlich-abendländischem Eifer", meint auch mein Freund Georg Hoffmann-Ostenhof im Wiener "profil". Und fragt sich, ob seine Heimat ein "durch und durch dummes und gemeines Land ist". Was antworten? Vielleicht, dass Menschen so armselig sind wie ihre Ängste.

Die gute Nachricht: Das ganze Geschrei hat dem Reaktionär Schüssel gar nichts genützt. Am Sonntag verlor seine ÖVP die Steiermark. Leider nicht an die Türken.


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