Schüssels Glaubenskrieg
Österreich spielte sich in der EU als Bollwerk des Abendlandes gegen die Türkei
auf. Ein kalkuliert-sentimentales Trauerspiel.
Von Tom Schimmeck
ch kenne keine
Vorurteile gegen Österreicher. Ich habe unter ihnen gelebt. Wer
weiß, dass der Österreicher, zuvörderst der Wiener,
verlässlich schlecht gelaunt und manchmal lustvoll böse
ist, kann mit ihm manch schöne Stunde erleben. Die Besten sind
bitterböse auf ihr Volk.
Wie alle auf
Kleinstaat-Status zurückgefallenen Ex-Großreiche hat auch
Felix Austria sein Päckchen an Komplexen und Lebenslügen
zu tragen: Zum einen kann die ehemalige k. u. k.-Monarchie für
gar nichts irgendetwas, ist also notorisch unschuldig – an
Adolf und dem Faschismus schon mal sowieso. Zum zweiten begreift sich
Österreich bis heute als Frontstaat und Vorposten des
Abendlandes. Schließlich hat man sich 1529 gegen die Türken
gestemmt. 1683 gleich noch mal. Und jetzt wieder. Der homo austriacus
ist also ein unschuldiger Held. Und a bisserl sentimental ist
er auch.
Fleisch wird die
verquere Gefühligkeit in Gestalt des katholischen Kanzlers
Wolfgang Schüssel. Der hat bis Montag einen einsamen Kampf
gefochten gegen die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der
EU. Er sagt nicht, dass die Europäische Union ein Christenclub
bleiben soll. Oder dass seine Österreicher schlottern vor den
Türken. Und sieht sich selbst doch als historischen
Vollstrecker.
Der halsstarrig
eiernde Schüssel bescherte 24 EU-Außenministern ein hartes
Wochenende mit extrem wenig Schlaf. Am Schluss verkündete seine
Außenministerin Ursula Plasnik, es habe "nie Zweifel daran
bestanden, dass der Beitritt Grundlage der Verhandlungen sein muss".
In einer Schulklasse gäbe es dafür Prügel.
Stellen Sie sich vor,
sie seien Türke und Wolfgang Schüssel stünde vor
Ihnen. Was sehen Sie? A) Einen tapferen Krieger des Abendlandes. B)
Einen Wicht ohne Visionen.
Vermutlich B). Schon
weil an dieser Front kein Schuss mehr fällt. Die Türkei
fiebert seit 40 Jahren nach Europa. Das Land hat, befeuert von der
Hoffnung auf eine europäische Zukunft, gerade in den letzten
Jahren enorm viel geleistet. Schon seit Kemal Atatürk befindet
sich das Land in einem gewaltigen Transformationsprozess. Nicht
einmal der ehemalige Erzfeind Griechenland veranstaltet solch ein
Theater. Im Gegenteil: Die Griechen, lange die außenpolitisch
irrationalste Kraft der EU, sind über viele Schatten gesprungen.
Die USA machen sich ohnehin für die Türkei stark. Auch
Schröder, Chirac und Blair zeigen sich hier selten einig: Es
gibt keine vernünftigere Wirtschafts- und Sicherheitspolitik,
als diesem großen, aufstrebenden Brückenstaat die Hand zu
reichen und das kommende Jahrzehnt der Verhandlungen zu nutzen, ihn
so nah wie möglich an die EU heranzuführen.
Was also treibt Herrn
Schüssel um? Der Geist der glücklosen Frau Merkel, die
Europas konservative Regierungschefs von Estland bis Griechenland
seit langem mit ihrer Idee einer "privilegierten Partnerschaft"
für die Türkei nervt? Zum Glück völlig erfolglos
übrigens. Angela Merkel hat die Wiener Freunde über ihr
außenpolitisches Sprachrohr jetzt wissen lassen, sie fände
deren Kurs "sehr mutig und vernünftig".
Klar ist: Schüssel
wollte sich für das kroatisch-katholische Brudervolk in die
Bresche werfen. Auch kennt er die Umfragen, denen zufolge seine
Österreicher zu 90 Prozent gegen einen EU-Beitritt der Türkei
sind, inklusive der jämmerlichen Sozialdemokraten. Die Rumpf-FPÖ
plakatiert in der Hauptstadt: „Wien darf nicht Istanbul
werden". Und: „Wien statt TürkEU“. Aba
bittschön, Rassisten samma neet, naa, werden sie dort jetzt
sagen.
"Eine giftige
Mischung aus historischem Vorurteil und aktueller Angst"
diagnostiziert hier der britische Guardian. "Da mischt sich
xenophob-populistische Taktik mit tief empfundenem
christlich-abendländischem Eifer", meint auch mein Freund
Georg Hoffmann-Ostenhof im Wiener "profil". Und fragt sich,
ob seine Heimat ein "durch und durch dummes und gemeines Land
ist". Was antworten? Vielleicht, dass Menschen so armselig sind
wie ihre Ängste.
Die gute Nachricht:
Das ganze Geschrei hat dem Reaktionär Schüssel gar nichts
genützt. Am Sonntag verlor seine ÖVP die Steiermark. Leider
nicht an die Türken.
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