TOM SCHIMMECKs ARCHIV
1999

Ritter zwischen Tod und Teufel

Einst ein Bürgerrechtler, mutierte er zum Sheriff der Nation: Die Anfänge des Innenministers Otto Schily.

von Tom Schimmeck

O

tto guckt ganz grimmig. Die Scheinwerfer leuchten, die Kameras laufen. Die Nation schaut zu. Jetzt ist er Innenminister pur, ein Inhaber der vollen Verantwortung. Die Augen blicken starr unterm grauen Pony hervor. Der Mund ist ein schmaler, schnurgerader Strich. Wenn er sich öffnet, schiessen Wörter wie “Vollzug”, Härte”,  “Bekämpfen” und “Zerschlagen” heraus.

Wie charmant dagegen war er gestern im Café. So dezent und fein artikuliert, so korrekt und adrett wie stets. Er erklärt ausführlich und differenziert, lächelt nachsichtig über dumme Fragen. Der Citoyen Schily, wie man ihn kennt. Ein Mann, dem “gutes Bildungsbürgertum” (Schily) ein festes Fundament gegeben hat. Der nie Ehrgeiz zeigte, in ein Raster zu passen. Und manch schlichtes Gemüt damit sehr verwirrte.

Wächst ihm als Innenminister nun eine Pickelhaube? “Es ist wie immer”, sagt Otto Schily. “Die Person prägt das Amt und das Amt prägt die Person. Und die Person ist nicht besonders groß, aber willensstark. Und sie hat ein gewisses Denkvermögen.”

Schon klar. Aber man braucht doch ein paar Minuten, um sich an den neuen Anblick zu gewöhnen. Den Dreiteiler hat er, anders als sein Freund und Kabinettskollege Josef Fischer, ja schon immer getragen. Wenn er aber den Sheriff gibt, schnarrend ankündigt, “hart und entschlossen” gegen diese und jene vorzugehen, schlucken auch Fans zuweilen hörbar. Ist das der Ton, den das Amt gebietet? “In der Innenpolitik bin ich dauernd auf einer Gratwanderung”, sagt Schily. Ja, auch diese Tonlage sei “notwendig”.

Umso mehr, als seine Gegner nun versuchen, die aktuellen PKK-Krawalle mit der Debatte um das Staatsangehörigkeitsrecht zu verknüpfen. “Die CDU-Propaganda”, da wird Schily  selbst im Café ganz scharf, sei “verantwortungslos”, sie zeige ein “nahzu verfassungwidriges Verhalten. Wenn man bei einer Bedrohung der Sicherheit der Bundesrepoublik Deutschland nicht zusammensteht, empfinde ich das als einen unglaublichen Vorgang.” 

Vor allem, wenn der neuen Regierung nun vorgehalten wird, sie sei feige gewesen, weil sie PKK-Chef Öcalan nicht ausliefern ließ. Öcalan in Deutschland? Für ihn eine Horrorvorstellung: “Fünf Jahre Prozeß mit dem Aulieferungsbegehren der Türkei im Rücken. Die Folgen sind unausdenkbar, das ist Dynamit.” Die Regierung habe “gewiß eine heikle Entscheidung” getroffen, aber “feige ist sie nicht. Das finde ich eine Frechheit, das ist ein unglaublicher Vorwurf.”

Noch mehr in Rage gerät der distinguierte Schily, wenn er auf den Rat seines bayerischen Kollgen Beckstein zu sprechen kommt. Der hatte vorgeschlagen, Gerhard Schröder möge sich als EU-Ratspräsident für eine Auslieferung Öcalans an die Türkei unter bestimmten Auflagen einsetzen. “Was da an Neunmalklugen herumläuft”, stöhnt Schily. “Dann könnten wir nur noch in Panzern herumfahren. Das ist so ein abenteuerlicher Schwachsinn.”

Der Grat, das hat der Innenpolitiker Otto Schily schon in der Opposition erfahren, ist zuweilen ziemlich schmal. Als Frontmann der SPD für verzwickte Fragen mußte der ehemalige “Linksanwalt” und Grüne manch alten Freund verschrecken. Vor allem die Große Koalition beim Thema Lauschangriff, an der Schily noch als Innenminister in spe mitstrickte, hat das Image des einstigen “Radikaldemokraten” neu geprägt.

Da ist einer, der immer als Hüter der Grundrechte, als linker Verfassungs-Schützer agierte, in den Ruch des Verrats gekommen. Schily weiß das. Und er nimmt sich viel Zeit, die Argumente noch einmal durchzugehen, den “rechtsstaatlichen Zugewinn” der herauszustreichen: Daß etwa die Polizei über Abhörmaßnahmen früher “allein, in aller Machtvollkommenheit, entscheiden konnte”, während heute “immer ein Richter entscheiden muß”. Das zum Beleg dafür, daß sich sein heutiger Standpunkt “von dem alten nicht so radikal unterscheidet wie das manche vermuten”.

Nein, Otto Schily sieht sich gewiß nicht als Wendehals, der seine Prinzipien der Karriere opfert. Schon beim Streit ums neue Abhörrecht fand er es “ein bißchen übertrieben”, daß “da einige Helden aufgestanden sind, die sich als Retter des Rechtsstaats gebärdet haben”. Auch als im vergangenen November Protest losbrach, nachdem der neue Innemnister verkündet hatte, die “Grenze der Belastbarkeit Deutschlands durch Zuwanderung sei überschritten” fühlte sich Schily völlig verkannt. Die CSU gratulierte ihm überschwenglich zu seiner Erkenntnis.  Rechtsradikale jubelten, Schily wolle “Deutschland sein deutschen Antlitz wiedergeben”. Und er war entsetzt: “Infam”, schimpfte Schily und setzte etwas kleinklaut hinzu: “Ich bin doch kein Rechter.”

Bislang hat es Otto Schily stets verstanden, auf Distanz zu bleiben, sich von den wechselnden Biotopen, in denen er sich bewegte, nicht schlucken zu lassen. In den 50er Jahren hat er FDP gewählt, in den 60ern hatte er Freunde beim SDS, diskutierte mit Rud Dutschke und vertrat, gemeinsam mit Horst Mahler, die Nebenklage im Mordprozeß Benno Ohnesorg. Dann kam die hysterische RAF-Ära, die Schily, als Anwalt der Gudrun Ensslin, berühmt machte. Gerade weil er auch in Stammheim noch die Form wahrte, als einziger RAF-Anwalt den obligaten weißen Binder trug, zog er Haß auf sich. Er bekam viele Drohbriefe, aber auch Beifall: Er sei “von beeindruckender Intelligenz, geistiger Beweglichkeit und sachlicher Souveränität”, notierte selbst die “FAZ” vor bald einem Vierteljahrhundert verzückt.

In den 80ern zog das Grünen- Gründungsmitglied in den Bundestag. Im Flick-Untersuchungsausschuß lief er zu voller Form auf. Als rigoroser, schneidender Chefankläger, als Stachel im fetten Fleisch der Parteien, der die etablierten Granden stottern ließ, der Helmut Kohl seine “verrottete Moral” vorwarf und Franz-Josef Strauß in den Furor trieb. Es war seine Traumrolle.

“Der Otto” wurde zur Symbolfigur der Anti-Parteien-Partei, doch auch dieses Milieu blieb ihm fremd: den Blümchen, den Fundis und der verdammten Rotation, die jedem “Promi” im Nacken saß. Weil er sich “unter Wert gehandelt” fühlte, rotierte das “Juwel” (Antje Vollmer) schließlich 1989 auf die Hinterbänke der SPD. Das war zunächst ein recht karger Ort für ihn.

Seinem tiefen Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, so scheint es, hat die lange Zeit der Dürre nicht geschadet. Schily weiß, daß er “wahrlich kein Funktionärstyp” ist, sondern ein Sonderfall. “Es gibt Menschen, die haben eine komplizierte Biographie”, sagt er, “und das wird auch in der Politik bemerkbar.” Er nennt Willy Brandt als Beispiel, will aber keinen Vergleich ziehen – “so vermessen bin ich nicht”.

Auch im Amt des Innenministers will Schily, 66, unverwechselbar bleiben, nicht als Kanther-Klon in die Archive eingehen. Da traf es sich gut, daß er der neuen rot-grünen Regierung ihr erstes Aufbruchssignal liefern konnte: Die überfällige Reform des wilhelminischen Staatsangehörigkeitsrechts. Sein Entwurf, davon ist  Schily noch immer überzeugt, sei “der durchdachteste, der konsequenteste und der beste”. Die Umsetzung aber wird immer schwieriger.

Die CDU hat das Thema “Doppelpaß” bei der Hessen-Wahl derart hochgekocht, daß die SPD sprachlos war. Schily ist “sehr unglücklich” über diese “bis ins Mark verlogene Verdummungskampagne”. Die Union, befürchtet er, “holt einen Geist aus der Flasche, den sie nicht mehr zurückholen kann.”

Auch von der Taktik der eigenen Genossen war der scharfzüngige Anwalt nicht begeistert: “Ich habe nicht erkennen können, daß man auf den letzten Metern gesagt hat: ,Freunde, hier steht was auf dem Spiel’. Die Leute merken sofort, wenn man die Decke über den Kopf zieht und denkt: Oh, hoffentlich geht das bald vorbei und wir haben es doch noch, mit Ach und Krach, geschafft.”

Nun ist Hessen verloren. Und Schily muß sich neue Mehrheiten für sein Jahrhundertwerk suchen. Er spricht jetzt mit den Ländern, mit den roten und rot-grün regierten natürlich, dazu mit dem rot-gelben Rheinland-Pfalz – “weil ich sonst die notwendige Mehrheit nicht habe”. Die FDP, erklärt er freundlich, habe sich “in der ganzen Diskussion ja absolut fair und konstruktiv verhalten”.

Auch zur CDU werden Fühler ausgestreckt. “Ich werde eine Mehrheit finden”, glaubt der Innenminister, aber “sicher nicht für den Arbeitsentwurf, den ich vorgelegt habe”. Es läuft also auf ein Optionsmodell hinaus, eine doppelte Staatsbürgerschaft auf Zeit? Es könnte sein, “daß  der Optionsgedanke mit einbezogen wird”, sagt Schily vorsichtig.

Verscherzt er sich damit aber nicht die Sympathien des eigenen Lages? “Es ist immer gut, wenn ich aus entgegengesetzten Richtungen gescholten werde”, kontert der Solist. “Daß ist ein Zeichen dafür, daß ich auf dem richtigen Wege bin.” In der neuen Mitte sozusagen? “Genau”, lächelt Schily, “in der neuen Mitte. Als Ritter zwischen Tod und Teufel.”


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