Zuwarten und Wegschauen?

Rezension: Dirk Laabs –"Staatsfeinde in Uniform
- Wie militante Rechte unsere Institutionen unterwandern"
Econ, 448 Seiten, 24,00 ISBN: 9783430210324

von Tom Schimmeck

Von Rechtsextremismus bei deutschen Polizisten und Soldaten war in den vergangenen Jahren häufiger die Rede. Immer wieder wird gegen Polizeibeamten der Vorwurf des Rassismus laut. In mehreren Bundesländern entdeckte man Chatgruppen von Polizisten, die Nazisymbole und Hitlerbildchen austauschten. Nachrichten über Munitionsdiebstähle, Schießübungen und "Feindeslisten" machten die Runde, über Prepper-Netzwerke und einen "NSU 2.0" . Recherchen – auch des Deutschlandfunks – kamen auf hunderte rechtsextremistische Verdachtsfälle bei deutschen Sicherheitsbehörden. Allein in Nordrhein-Westfalen, berichtete der dortige Innenminister Herbert Reul im Januar, seien der Staatsanwaltschaft bislang 175 Fälle zugeleitet worden. Der Journalist Dirk Laabs hat seine langjährigen Recherchen darüber jetzt in einem Buch zusammengefasst: "Staatsfeinde in Uniform".

Das Hauptproblem: Die Dimension der Bedrohung zu erfassen. Dirk Laabs, seit zwei Jahrzehnten mit Terror beschäftigt, auch dem jihadistischen und dem linksextremen, versucht seit langem, sich ein genaues Bild zu machen. Er hat eine Art Schwarzbuch des deutschen Sicherheitsapparates geschrieben. Was spukt dort für ein Geist? Was sind das für Staatsdiener, die mit Neonazis und Reichsbürgern anbandeln? Und, wichtiger noch: Bilden sich hier tatsächlich rechtsradikale Strukturen?

Laabs: "Wir haben es nicht zu tun mit einer Schattenarmee wie in der Weimarer Republik – Tausende von Mann, die bereitstehen, mit einer kleinen Hierarchie, die jetzt hier morgen den Putsch durchziehen. Es ist aber eine terroristische Gefahr. Ich habe jetzt auch nochmal nachgeguckt, wie viele bekannte RAF-Mitglieder es gab: keine 80. Deswegen, man braucht nicht die große Gruppe. Man braucht radikalisierte Mitglieder einer Bewegung, die bereit sind, Gewalt auszuüben. Dann kann ich ein ganzes Land, wie ja die RAF bewiesen hat, oder auch Al-Qaida, mit relativ wenigen Mitteln eben terrorisieren. Und das ist so die Gefahr. Und die Gefahr ist extrem ernst."

Rechtsradikale Aktivitäten von Polizisten und Bundeswehrsoldaten als "Einzelfälle" abzutun, ist inzwischen selbst bei Innenministern aus der Mode gekommen. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer löste im vergangenen Juni gar eine ganze Kompanie des Kommandos Spezialkräfte auf und lud den Rest ihrer Eliteeinheit KSK zur "Bewährungsprobe".

Das Problem des KSK, meint Laabs, sei so notorisch wie exemplarisch. Seit Jahren häufen sich Berichte über demütigende Rituale,  Kadavergehorsam , über eine  Angstkultur und eine, wie ein Informant es formulierte,  mindestens aggressiv nationalkonservative Gesinnung . Angesichts des Mosaiks, das der Autor zusammensetzt, ist man kaum noch überrascht, dass etwa ein Soldat wie Franco A. sich dort pudelwohl fühlte.

Der KSK-Soldat Franco A., eine der Hauptfiguren des Buches, wurde 2017 verhaftet. Er war in rechten Zirkeln gut vernetzt. Er legte sich eine Zweitidentität als syrischer Asylbewerber zu. Nach einem Ballbesuch in Wien versteckte er eine Waffe am Flughafen Schwechat. Und lieferte an seiner Offiziersschule eine Masterarbeit ab, die vor völkischem Rassismus nur so triefte. Ursula von der Leyen, damals die zuständige Ministerin, platzte der Kragen, als sie Details des Falles erfuhr:

von der Leyen: "Dass der Soldat A. eine Masterarbeit abgeben konnte, die klar rassistisch und rechtsextrem ist, und dass dieses kleingeredet worden ist von den Disziplinarvorgesetzten, zeigt, dass hier das Maß nicht stimmt, die Regeln nicht eingehalten worden sind.

Von der Leyen zürnte über "Führungsschwäche" und "falsch verstandenen Korpsgeist" . Sie attestierte ihrer Bundeswehr ein Haltungsproblem und benannte das Prinzip dahinter: Tolerieren, Verdecken, Schönreden. An dieser selten klaren Aussage jedoch hatten Militärs, Politiker, auch Journalisten, allerhand zu bemängeln. Wer hierzulande auf rechtsextreme Gefahren hinweist, zieht sich schnell den Vorwurf der Übertreibung und Panikmache, des Alarmismus zu. Leider, findet Laabs:

Zitat "Sie traf aber tatsächlich den Kern. Nur eine Minderheit in der Bundeswehr war rechtsradikal, doch die Mehrheit ließ diese Minderheit seit Jahrzehnten unbehelligt agieren, das war das Problem."

Eine ist diese Kultur des Zuwartens und Wegschauens  bei Vorgesetzen, Staatsanwälten, Geheimdienstlern  die das Buch so faktenreich beschreibt.

Laabs: "Nach dem NSU hat man immer behauptet: Die Behörden waren auf dem rechten Auge blind. Was überhaupt nicht stimmte. Sie haben alles gesehen, fast alles angeblich, nur aber nichts gemacht. Weil diese Behörden politisch sind. Ich habe mit ganz vielen Ermittlern gesprochen. Und die haben mir gesagt: Du merkst, wenn mein Chef jetzt mal will, dass ich durchgreife  oder eben nicht. Und da war immer implizit die Ansage: Wir lassen das jetzt mal laufen, wir wollen die nicht aufschrecken."

Man staunt bei der Lektüre ob der amtlichen Patzer, Pannen und Fehleinschätzungen, dieser fast schon planvollen Lethargie. Etwa beim Militärischen Abschirmdienst, der nicht einmal in der Lage scheint, die eigenen Akten zu lesen:

Zitat "Zu spät hat etwa der MAD erkannt, dass Elitesoldaten auf Tuchfühlung mit der militanten rechten Szene gingen, man sich vernetzte, obwohl der Dienst genau diese Erkenntnisse schon in den 1990er-Jahren noch selbst hatte."

In der Logik des MAD, glaubt Laabs, sind nur echte Gewalttäter auch echte Quellen.

Zitat "Die Beweisaufnahme des ersten Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses zeigte sogar, dass der MAD und andere Nachrichtendienste bald jedes Maß verloren. Man ließ absichtlich gewalttätige Neonazis in die Armee, um sie dann besser als Spitzel anwerben zu können."

Manchmal merkt man, dass Laabs vor allem Dokumentarfilmer ist. Der Film lebt von der Kraft der Bilder und Stimmen, das Buch allein von der Sprache. Der fehlt es mitunter an Präzision. Erkenntnis wird unter zu vielen Anekdoten begraben. Man hätte sich ein strengeres Lektorat gewünscht.

Doch Laabs schöpft aus seinem enormen Fundus, aus gewaltigen Mengen von Material, vielen Beobachtungen und Interviews. Der Leser begegnet Rechtsextremen aller Härtegrade, taucht in eine oft grotesk wirkende Welt. Meist geht es um Waffen, Volk, Vaterland, die vielen Feinde und den "Tag X":

Zitat "Der Tag X ist für rechtsextremistische Aktivisten das zentrale Ziel, auf das sie hinarbeiten: An diesem Tag, so ihre Logik, bricht die staatliche Ordnung zusammen, der Weg ist dann frei, um selbst die Macht zu übernehmen."

2019 zählte der Verfassungsschutz 13.000 "gewalt­orientierte Rechtsextremisten". Verantwortliche Politiker, die denen, auch im eigenen Apparat, rigoros die Stirn bieten wollten, stünden vor einem Dilemma, sagt der Autor  das nachvollziehbar sei, aber trotzdem brandgefährlich:

Laabs: "Wenn Du Dir jetzt vornimmst: Du gehst gegen diese Bewegung vor, dann ist das so, als wenn du sagst: Ich ziehe jetzt in den Krieg. Dann gibt es Anschläge, dann werden die sich wehren. Also ist die Taktik: Wir lassen die so ein bisschen machen, wir umstellen die mit V-Leuten, das ist wie so ein Freigehege. Als Innenpolitiker stehst Du vor der Frage: Tue ich mir das an? Lege ich mich mit meinem eigenen Apparat an? Und dann sagst du irgendwann aus opportunistischen Gründen: Nein, das tue ich nicht."

Keine beruhigende Aussicht.


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