TOM SCHIMMECKs ARCHIV
2007

Gebt Gas!

Deutschland, einig Raserland. Du brauchst Lebensqualität & -raum.

von Tom Schimmeck

F

reunde der Freiheit, willkommen in... – nein, falsch: nicht in den USA, in Deutschland! In den USA dürft ihr Alkohol nur in blicksicheren braunen Tüten transportieren. Jeder Fluch wird im Fernsehen von einem Piepen übertönt. Und nirgendwo kann man richtig Gummi geben. Im Nordosten ist schon bei 104 km/h Schluss. Nur in ausgewählten Ecken von Texas sind 80 Meilen pro Stunde legal = 128,74385 km/h. Yeah.

Deutschland dagegen – land of the free. Lang lebe unsere Autobahn, seit Adolf auf 12363 Streckenkilometer angewachsen. Sie kennt kein Limit. Theoretisch kann man 407,5 km/h fahren. Sofern man sich den Bugatti Veyron 16.4 zulegt, mit 1001 Pferdestärken das potenteste Serienauto. Kostenpunkt: Über 1,3 Millionen Euro. Vermutlich ist ein begleitendes Tankflugzeug inbegriffen – das 1,8-Tonnen-Geschoss verbraucht bis zu 100 Liter pro 100 km. Hersteller? Volkswagen! Jawohl.

Der Deutsche hat wenig Spaß. Er pflanzt sich auch schlecht fort. Aber er liebt Adrenalin. Gibt gerne Gas. “Bis zur Vergasung”, wie er immer noch sagt. Freie Fahrt für freie Bürger lautet sein Credo. Seine Kirche ist der ADAC, der Allgemeine Deutsche Automobilclub. Vorteil: Dessen Seelsorger kommen im Notfall in gelben Autos und geben Starthilfe. Ruckzuck. Ohne Beichte. Und schon geht es weiter. Broooaaam...

Der Koenigsegg CC8S bringt es auf 390 km/h. Der BRABUS SV12 S Biturbo Coupé – auf Basis des Mercedes CL 600 – schafft mit 730 PS 340 km/h. Der Porsche 911 GT3 fährt immerhin noch 310, auf 100 ist er in 4,3 Sekunden. Ein unschätzbarer Vorteil im Berufsverkehr. Memmen begnügen sich mit dem Audi RS6 plus, der bei 280 automatisch gedrosselt wird. Oder der neuen M3-Limousine von BMW, mit lausigen 420 PS, von 0 auf 100 in lähmenden 4,9 Sekunden und bereits bei 250 km/h “elektronisch abgeregelt”. Genau wie der Audi A4 und das BMW 1er Coupé.

Wer hat da gelacht? Wer sagt, mehr braucht man nicht? Was heißt hier “Schwanzverlängerung”? Nein, unser Gehirn ist nicht tiefer gelegt. Und das Thema Tempo kein Scherz. Gewiss, wir reden viel vom “Fahrspaß”. Aber wir meinen es bitterernst. Genau hier ist “Schluss mit lustig”, wie wir sagen. Geht es doch um den Nukleus deutschen Daseins. Um eine ganz grundlegende Geisteshaltung. Um Lebensqualität und –raum. Um grenzenlose Freiheit.

Wir rasen voran. 1990 kam nur jeder siebte in Deutschland zugelassene PKW auf 180 bis 200 km/h. 2003 schon jeder vierte. Immer mehr Wagen kommen über jene magische Schwelle von 200 km/h, bei der die Maus allmählich zum Manne wird. Kein Wunder, dass Artgenossen aus aller Welt hierher strömen, um einmal die „Autobahn experience“ zu machen. No limits! Das gibt es sonst nirgends. Außer in Nepal, auf der Isle of Man und im indischen Bundesstaat Uttar Pradesh. Wo aber vermutlich heilige Kühe im Weg stehen.

Doch ach, unsere Freiheit ist bedroht. Durch Baustellen, durch läppische, kleinkarierte Restriktionen: Zum Lärmschutz, wegen vermeintlicher Unfallgefahr. Auf rund einem Drittel der deutschen Autobahnen, teilt die BASt, die  Bundesanstalt für Straßenwesen, mit, herrsche bereits ein Tempolimit. Eine Freiheitsbeschränkung, die zu potentiell mörderischen Bremsmanövern zwingt, meine Herren. Der ADAC spricht gar von 40 Prozent. Demnächst wird er zu den Waffen rufen.

Schlimmer noch: Nun droht der Sozialismus. Der ist nicht tot. Der hat nur Luft geholt. Um am vorvergangenen Wochenende in Gestalt der Sozialdemokraten zu beschließen: „Ein schneller und unbürokratischer Weg zum Klimaschutz ist die Einführung einer allgemeinen Geschwindigkeitsbegrenzung von 130 km/h." Wer hat uns verraten? Die SPD, diese „Schneckenpartei Deutschlands“.

Zum Glück hat Angela Merkel sofort reagiert: „Mit mir wird es das nicht geben!”. Die Kanzlerin, wiewohl im Osten aufgewachsen, mit dem „Trabant“, jener oft verhöhnten „Rennpappe“, dessen lächerliche Fahrleistung vermutlich der Hauptgrund für die Wiedervereinigung war, warf sich den Feinden der Freiheit subito entgegen. Ihr CDU-General Ronald Pofalla zeigte Ekel ob solcher "Gängelei für Millionen von Autofahrern". CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer wähnte sich im „Gruselkabinett". Die Gewerkschaft der Polizei reagierte sportlich-modern: Ein striktes Tempolimit presse das Verkehrsgeschehen “in ein nicht zeitgemäßes Korsett".

Kaum ist der erste Schreck verklungen, meldet „Bild“, Zentralorgan der Freifahrer, neuen Horror. Der britische EU-Abgeordnete Chris Davies will ab 2013 nur mehr Autos zuzulassen, die maximal 162 km/h schaffen. Ausnahmen sind nur für Rettungskräfte und die Polizei vorgesehen. Nur noch sechs Jahre! Lieber fahren wir uns tot. Oder stecken uns alle ein Blaulicht auf. Lalü lala.


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