Zum Abschied Wackelpudding

Wie Deutschlands grüner Umweltminister Jürgen Trittin die alten Gefährten zu besänftigen sucht


von Tom Schimmeck 

Die Szene würde manch guten Regisseur wohl reizen: Da sitzt Deutschlands grüner Umweltminister, ganz leger, im Kreise alter Kampfgefährten. Man ist höflich miteinander, aber die Spannung ist mit Händen zu greifen. Um am Rande der Bühne stehen, sehr dezent, vier Sicherheitsbeamte, die mit wachem Blick das Publikum scannen.

Jürgen Trittin kennt sich aus im niedersächsischen Wendland, jener verschlafenen Region an der ehemaligen Ostgrenze, wo Deutschlands hochradioaktiver Atommüll in den Tiefen eines Salzstocks bislang endgelagert werden sollte. Er hat hier selber demonstriert und Bauplätze besetzt. Er kennt die Bauern, die Bürger und die Freaks, die hier seit 22 Jahren gegen das geplante Endlager anrennen. Mit vielen ist er per Du.

Doch als er am vergangenen Mittwoch per Hubschrauber im Wendland niedergeht, steht seine neue Rolle einem fröhlichen Wiedersehen im Wege. Der Herr Bundesminister ist auserkoren, nun den Atomausstieg zu meistern - und ist tausend Mal schwerer, als ihn bloß zu fordern. Jürgen Trittin muß verhindern, daß die Stromindustrie milliardenschwere Regreßforderungen stellt. Seine Verordnungen und Gesetze müssen so formuliert sein, daß die Regierung keinen Schiffbruch vor Gericht erleidet. Und vor allem muß ausgerechnet er, der Grüne, der immer dagegen war, nun die Frage beantworten, wo denn der ganze strahlende Müll für Jahrtausende sicher gelagert werden kann.

Ein paar Aktivisten reichen ihm Sonnenblumen zur Begrüßung, das Symbol seiner Partei. Doch die Blumen sind verdorrt - ein Symbol ihrer enttäuschten Hoffnungen. Am Abend sitzt der Minister im Schützenhaus des Städtchens Dannenberg vor 500 alten Freunden und versucht, sich seine Spannung nicht anmerken zu lassen. Nein, die Gefährten trauen ihm nicht mehr. "Können wir weiterkämpfen mit ihnen, Herr Trittin?", fragt skeptisch die Vorsitzende der Bürgerinitiative. Und sie droht ihm ein wenig: "Ihre Stärke hängt von uns ab, sonst sind sie nur ein politisches Leichtgewicht." Ein alter Herr wird noch deutlicher:"Vergessen wir die Grünen, vergessen die Roten. Vorwärts mit den Chaoten!"

Der Minister versucht alle zu umarmen. Er sei "wieder mal gerne hierher gekommen", sagt Trittin etwas gequält. Er kündigt an, daß die Erkundungsarbeiten für das Endlager im Wendland noch vor Ostern zu stoppen. Er ruft die Bewegung auf, "weiter Druck" zu machen, "jeder mit seinen Methoden". Ja, die Atompolitik müsse beendet werden, "sobald wie möglich". "Sofort! Sofort!", rufen die Zuhörer. Immer wieder versucht der Verantwortungsträger, den Freunden die Tücken der Realpolitik verständlich zu machen. Vor allem - und das ist hier besonders schwierig, wenn es um die Atommülltransporte geht. Denn im wendländischen Gorleben ist nicht nur ein Endlager geplant. Dort steht bereits ein sogenanntes "Zwischenlager", eine bessere Turnhalle, in der die Spezialbehälter mit der heißen Fracht erst einmal abkühlen sollen, bevor sie im Untergrund verschwinden.

Seit langem hat kein Transport nach Gorleben mehr stattgefunden. Denn jedes Mal, wenn so ein "Castor-Behälter" ins Wendland rollt, kommt es zu einem regelrechten Volksaufstand: Aktivisten besetzten die Schienenstränge, Bauern verstopfen mit ihren Traktoren die Straßen. Die Polizeieinsätze kosten ein Vermögen. Zudem stellte sich letztes Jahr heraus, daß die Behälter stärker strahlen als genehmigt. Trittins CDU-Vorgängerin verhängte daraufhin einen vorläufigen Transportstop.

Nun versucht der grüne Minister, auf Zeit zu spielen, den Atommüll zunächst in Lagern an den Standorten der Atomkraftwerke unterzubringen, um die riskanten und politisch verheerenden Transporte nach Gorleben zu vermeiden. Doch Deutschland muß auch tausende Tonnen Atommüll entsorgen, die von den Stromkonzernen in die Wiederaufbereitungsanlagen in Frankreich und England geschafft wurden. Im französischen La Hague stehen seit März 1997 sechs Waggons mit Müll abfahrbereit. Das einzige Lager, in dem sie legal abgestellt werden könnten, heißt Gorleben.

Trittin weiß das. Und er weiß auch, daß er endgültig als Verräter dazustehen droht, wenn er die Transporte nicht verhindern kann. "Ich kann nur versprechend", sagt er fast flehend, "was wir juristisch wasserdicht haben." Das ist den Atomgegnern denn doch zu dürftig. Sie bezweifeln, daß er die politischen Muskeln hat, sich durchzusetzen kann gegen die Industrie durchsetzen und den superpragmatischen Kanzler Gerhard Schröder, der es sich um keinen Preis mit ihr verscherzen will. Und gegen den eigenen Ministeriumsapparat, der in 16 Jahren CDU genau das gegenteilige Ziel zu verfolgen gelernt hat. Einer hält ein Transparent hoch: "Rollt ein Castor bei Rot/Grün, muß Trittin sich warm anziehen." Und als Abschiedsgeschenk reicht man dem Minister einen glibberigen rot-grünen Wackelpudding .

© Schimmeck