Generäle schiesssen
sich warm
Die Regierungskoalition bereitet sich
auf den Wahlkampf 1998 vor
Januar 1998
von Tom Schimmeck
Das Regierungsgeschäft ruht bereits. Das Jahr 1998, das hat die
CDU schon lange festgelegt, diene allein „der Klärung der Front und
dem Kampf“. Die Frontbegradigung ist in vollem Gange: Die FDP hat ihr Dreikönigstreffen
absolviert, die CSU das alljährliche Ritual von Wildbad Kreuth. Die
CDU nahm ihre Strategie auf einer Vorstands-Klausur in Windhagen bei Bonn
durch. Ihr Rezept, nach einem Vierteljahrhundert Kohl, heißt: Weiter
so.
Die offiziellen Soundbites waren die Üblichen: Man zeigt Geschlossenheit,
bekennt Entschlossenheit und verströmt Zuversicht, dass der Sieg gelingen
und auch der blaugelbe Beiwagen wieder die Kurve nehmen wird. Allenthalben
ist Disziplin gefragt, Misstöne, abweichende Interpretationen sind
ab sofort untersagt. Helmut Kohl ließ seinen Generalsekretär
klarstellen: „Eine Große Koalition findet nicht statt.“
Denn solche Spekulationen passen nicht zum „Lagerwahlkampf“, den die
CDU bis zur Bundestagswahl orchestrieren will. Der verlangt knallharte
Abgrenzung: Wählt uns wieder, sagt er den Bürgern, oder euch
blüht ein Alptraum, der Untergang, das „rot-grün-dunkelrote“
Chaos.
Um gar keine dummen Gedanken aufkommen zu lassen, hat die CDU alle weiteren
Verhandlungen mit der SPD über eine Steuerreform gekappt. FDP-General
Guido Westerwelle, stets von der Furcht verfolgt, die Großparteien
könnten sich doch noch einigen, ist erfreut: „Eine überfällige
Entscheidung.“ Fraktionschef Wolfgang Schäuble, Reservekanzler
für den Fall einer Großen Koalition, muss vorerst zurück
ins Glied.
Der Wahlkampf hat schon begonnen. Er werde, streut Helmut Kohl, der
schwierigste seines politischen Lebens und weit in den persönlichen
Bereich der Kandidaten hinein geführt. Eine Schlacht steht bevor.
Zumal die demoskopische Lage unerfreulich für die Regierenden ist.
Das könne sie kaum schrecken, sagen Insassen des Bonner Konrad-Adenauer-Hauses:
1994 waren die Daten um diese Zeit, acht Monate vor dem Wahltag, noch mieser.
Auch kann, wer tief gehängt wird, sich eindrucksvoller steigern.
Die Strategen sind umso gespannter, als die Bundestagswahl im September
schon am 1. März in Niedersachsen einen heißen Testlauf erlebt.
Dort geht es der Bonner Regierungskoalition nicht nur darum, Gerhard Schröder
zu entzaubern und seine Chancen auf die Kanzlerkandidatur möglichst
nachhaltig zu schmälern. Die Wahl in Hannover ist auch dramaturgisch
bedeutsam, soll sie doch den ersten Beweis erbringen, dass es mit der CDU
- und mit der FDP - wieder aufwärts geht. Getreu der „Balkentheorie“
der CDU-Politpsychologen, die da lautet: Am Wahlabend muss unser Balken
auf den Fernsehschirmen nach oben zeigen und der der anderen nach unten.
Wirkung ist alles.
„Da schmeißen wir die ganze Bundesprominenz hin und alles, was
Beine hat“, sagt ein Bonner CDU-Mann. Allein Helmut Kohl soll bei elf Auftritten
Flagge zeigen. Spitzenkandidat Christian Wulff, vor dem letzten Parteitag
noch als Störer gebrandmarkt, wird selbst von der Bonner Parteizentrale
nun als „Hoffnungsträger“ herumgereicht, als „größtes Talent“
gepriesen.
Daheim wird Wulff als „Politiker neues Typs“ verkauft, der zuhört
und diskutiert. Die Attribute: ehrlich, mutig und klar. Der Niedersachsen-CDU
muss dabei ein reduziertes Budget reichen: Sie spart bei der TV-Werbung
und den notorischen Kugelschreibern und Feuerzeugen. Mehr Geld wird dagegen
in Großflächenplakate gesteckt („Wir wollen Präsenz zeigen“).
Man setzt auf preiswerte „Talkshows“ mit Lokal-Größen („eine
Geschäftsfrau, einer aus dem Jugendzentrum und der örtliche Kandidat“),
einen massiven Auftritt im Internet und einen neuen Song („Welcome today,
welcome tomorrow“). Dazu werden Taschentücher „gegen rote Nasen“ gereicht.
CDU-Wulff testet manche Melodie durch, die man später auch bundesweit
intonieren will: Zukunft, Innovation, das nächste Jahrtausend. Die
Bonner CDU will unter dem „Oberslogan“: „Wir führen Deutschland in
das 21. Jahrhundert“ antreten. Eine Vorwärtsstrategie mit den Themen
Arbeit, Sicherheit und Euro drängt sich auf. Beim Euro hofft man auf
eine Art doppelten Rittberger: Wohl wissend, dass die Mehrheit der Bürger
gegen die Euro-Währung ist, soll Kohl als bester Garant einer starken
europäischen Währung schmackhaft gemacht und damit eine politische
Schwäche in eine politische Stärke umgemünzt werden.
Die gescheiterten Großreformen des Steuerrechts und des Sozialsystems
wie auch den Konflikt mit Teilen der CSU in Fragen des Euro will General
Hintze mit knackigen Attacken überspielen. Da bietet sich, mit einem
ersten Crescendo vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt Ende April, wieder
die PDS an, diesmal nicht mit roten Socken, gewiss aber, so wird versichert,
mit ähnlich eingängigen Sprüchen. Man werde, verheißen
die Strategen, das Thema erneut „stark in den Vordergrund drücken“.
Das Feindbild PDS ist auch gut geeignet, mangelnde Differenzen zwischen
den Volksparteien zu übertönen. Denn tatsächlich hat Hintze
zunehmend Probleme, das rot-grüne Grauen inhaltlich festzumachen.
Die Linke, klagt er gern in trauter Runde, „fängt immer stärker
an, uns zu plagiieren“. Und schimpft dann besonders über „diesen Schröder,
dieses inkarnierte Plagiat“. Der Chefwahlkämpfer hofft, mit dem
Blockade-Vorwurf gegen die Opposition, bereichert womöglich durch
neue Querelen in Nordrhein-Westfalens rot-grüner Koalition, bis in
den Herbst zu kommen.
Die grobe Keule gegen Grün mussten die CDU-Agitatoren längst
in den Schrank stellen. Es habe keinen Zweck mehr, meint nicht nur Kohls
Forschungsminister Jürgen Rüttgers, Fischer & Co weiter „als
antibürgerliche Schreckgespenster zu karikieren“. Die Vordenker haben
erkannt, dass ohne die Grünen der CDU jede Machtperspektive fehlt,
wenn der liberale Exitus eines Tages tatsächlich eintritt. Behutsam
wirbt deswegen etwa Heiner Geißler dafür, solche „Selbstfesselung“
durch ein schwarz-grünes Experiment zu lösen. Als zumindest denkbar
gilt unter Experten ein Testlauf auf Landesebene, zum Beispiel im kleinen
Saarland, wo im Sommer nächsten Jahres Wahlen anstehen.
Auch die Analytiker der FDP haben längst gewittert, dass die Rolle
der Partei als lachender und ewig mitregierender Dritter stark bedroht
ist. Auf Kommunal- und Landesebene ist die Erosion weit fortgeschritten.
Im Stammland Baden-Württemberg, klagt FDP-Präside Walter Döring,
würden die längst bürgerlichen Grünen ihnen die Hochburgen
abjagen: „Und wir schauen nahezu tatenlos zu.“
Intern ist man daher zu dem Schluss gekommen, dass die Attacken gegen
Grün verschärft und „radikaler als bisher auch um die Reformkompetenz
und um die Modernität, um Stil, Auftritt und Inhalt“ geführt
werden müssen. Prompt beschimpfte Westerwelle die Grünen als
„peinliche, inhaltsentleerte Funktionspartei“. Fürs Erste allerdings
haben die CDU-Hausdemoskopen aus Allensbach Baldrian ausgegeben. Die FDP,
hörten die CDU-Vorständler auf ihrer Klausur, werde es wieder
schaffen.
Gemeinsam ist Kohl und seinen Mehrheitsbeschaffern Gerhardt, Westerwelle
und Solms die tiefe Abneigung gegen die linksliberalen Unruhestifter, die
zur Jahreswende den Westerwelle-Kurs kritisierten und so, klagt man bei
der CDU, „Sand ins Getriebe streuen“. Beim Dreikönigstreffen, beschwichtigt
der FDP-General, „rappelt es immer ein bisschen im Karton“. Das sei nun
„ausgestanden“.
Verzweifelt fahnden die FDP-Wahlkampfplaner nach „Alleinstellungsmerkmalen“
und „Modernitätssignalen“ für die neuen Mittelschichten. Denn
die Tests vor der Bundestagswahl - Niedersachsen und Sachsen-Anhalt, dazu
eine Kommunalwahl in Schleswig-Holstein und eine Landtagswahl in Bayern
- könnten für die Partei leicht zu einem „negativen bandwagon“
werden, einer Prügelserie, nach der die FDP nicht mehr aufsteht.
Westerwelle ist denn auch heftig bemüht, seinen fast bankrotten
Verein als windschnittige Reformpartei herauszuputzen und einen „Eigenständigkeitswahlkampf“
auf die Beine zu stellen. Die Schlüsselwörter sind schon beschlossen:
„leistungsbereit, weltoffen, tolerant“. Das Problem: Dem Wähler mag
aufgefallen sein, dass die FDP sechs Siebtel der deutschen Nachkriegsära
mitregiert hat, 15 Jahre davon mit Kohl.
Wie will er den Verwesungsgeruch vertreiben? Die FDP sei schon so oft
„angeblich mausetot“ gewesen, winkt der Generalsekretär ab. Und stapelt
mit Blick auf die nächsten Wahlen in Hannover und Magdeburg schon
mal prophylaktisch tief: Die seien wohl wichtig, doch für die Bundestagswahl
„nicht von Schlüsselbedeutung“.
Selbst die Telefonanlage in seiner Parteizentrale muss da Zuversicht
verbreiten. Dem Wartenden spielt sie - wohl in Anspielung auf die mörderische
5-Prozent-Hürde - einen Klassiker: „Take five, just take five“.
©
Schimmeck |