Digitales
Daumenkino
Sex
sells, auch im Internet. Mit interaktivem Hardcore
will ein Amsterdamer Rotlicht-Trio einen neuen Markt schaffen. Der Preiskrieg
mit der US-Konkurrenz hat schon begonnen
1997
von Tom Schimmeck
Zoë ist dran. Sie
hechtet die halsbrecherisch steile Treppe hinauf, breitet ihr Laken auf dem
Bett aus. Schon ist die Kamera auf ihr. Ihr Gesicht schaltet auf lüstern: Die
Augen halb geschlossen, der Mund halboffen, mit geschürzten Lippen. Sie
beginnt mit den Hüften zu kreisen und an ihrer ohnehin spärlichen Bekleidung
zu zupfen. Sie ist ein Profi.
Zoë windet sich Richtung Matratze. Die Mimik signalisiert
wachsende Verzückung. Ihre Hände, verfolgt von der zoomenden Kamera, kneten
ihre Brüste. Und plötzlich hat sie einen knallroten Dildo in der Hand, ein
penisförmiges Latexutensil, das sie nun zielstrebig auf ihre Vagina zubewegt.
Die Zunge gleitet feucht über die Lippen.
„Wie geht’s Dir, Zoë?“, fragt Hope, die Kamerafrau und läßt
die Linse abwärts gleiten. „Ach, es geht so“, meint Zoë beiläufig, während
sie mit geübtem Griff den Dildo einführt, „ich fühle mich ein bißchen krank.“ Die Frauen
reden, als ob sie nebeneinander am Fließband stünden. Bis Hope plötzlich
„Achtung, Gesicht“ sagt und die Kamera von den Weichteilen der Darstellerin
nach oben schwenkt. Zoë braucht keine Sekunde, um ihre Mimik wieder auf wilde
Verzückung zu stellen.
Der Schauplatz ist winzig: Eine Dachstube in einem dieser
schmalen Amsterdamer Handelshäuser. An der Rückseite türmen sich,
abgeschottet und gut gekühlt, Rechner und der obligatorische Kabelsalat.
Davor zwängt sich die Regie. Operator Lisa, eine fröhliche Jurastudentin,
schaltet die Kameras, steuert die Beleuchtung und chattet dabei auf sechs
Kanälen gleichzeitig mit der Kundschaft. Durch eine Glasscheibe blickt sie in
das Studio: Gerade genug Raum für zwei Betten, zwei Kameras und eine sehr
holländische Pappkulisse, die das Ganze endgültig ins Surreale kippt: eine
Windmühle, ein Tulpenstrauß und ein Trachtenmädchen mit hölzernem
Schuhwerk.
Die Nacktbilder, die hier produziert werden, gehen direkt
ins Internet. Weil auf der Welt immer gerade irgendwo ein Japaner, ein
Amerikaner, ein Finne oder ein Nigerianer „hitsig“
sein könnte, wie der Niederländer sagt, läuft das Programm nonstop, rund um
die Uhr. Der Tag hat 86400 Sekunden, pro Sekunde ruckeln, je nach Breite und
Verkehrsdichte der Datenautobahn, ein, zwei fünf, zehn Bilder übers Netz. Auf
den Computerschirmen der zahlenden Kundschaft erscheinen sie winzig klein,
fast wie eine gemorste Sequenz. Immer mehr User scheinen gewillt, für die
geheimnisvolle Botschaft rund einen Dollar pro Minute auszugeben.
Die Macher dieses digitalen Daumenkinos sind gewiß keine Novizen auf dem Sexmarkt.
Jan O., 55, Präsident des Pornoprojekts, ist auch Boß
von Amsterdams bekanntestem Sexpalast, dem Casa Rosso. Vor vielen Jahren hat
er als Türsteher im Rotlichtviertel angefangen, sich allmählich
hochgearbeitet. Letztes Jahr hat der braungebrannte Kerl das ganze Imperium
gekauft: Drei Sexschuppen und die „Bananenbar“. Seither hat er das
Livesex-Monopol in Amsterdam. Denn mehr Lizenzen gibt es nicht.
Von Hightech hat der Sexunternehmer keine Ahnung. „Davon
bekomme ich Kopfschmerzen“, sagt O. ein wenig kokett. „Ich kann nicht mal ein
Mobiltelefon bedienen.“ Den modernen Teil des
uralten Gewerbes überläßt er zwei jüngeren,
langhaarigen Burschen, „Generalmanager“ Toine R.,
32, und Verkaufsmanager David P., 31. Keine typischen Rotlicher:
David begann vor sechs Jahren im Casa Rosso zu jobben, weil er eine Weltreise
machen wollte – um seinem wenig mitreißenden Studium der Betriebswirtschaft
zu entrinnen. Auch Toine brauchte ursprünglich nur
ein bisschen Geld. Er studierte Philosophie und Theologie – eine, wie er
heute findet, fast ideale Vorbereitung auf den Beruf des Onlinesex-Managers.
Die beiden wirken freundlich und intelligent, wie die
netten Jungs aus Wohngemeinschaft nebenan. Irgendwie sind sie hängengeblieben.
„Es ist sehr gemütlich hier“, meint Toine. „Ich
finde es aufregend“, sagt David. Die Firma ist ihre Familie, das Amsterdamer
Rotlichtviertel ihr Dorf geworden. Überall werden sie mit Vornamen begrüßt.
Tag und Nacht rennen sie in Jeans und T-Shirt durchs Viertel, immer unterwegs
zwischen ihren Büros, den Sexlokalen und dem Internet-Studio. In der
Nachbarschaft sind zwei weitere Studios im Bau. Das eine soll bald eine schwule
Online-Show beherbergen. Und das andere? „Mmmh“,
murmelt Toine geheimnisvoll. „Mal sehen.“
Die beiden Männer halten einen Zirkus von 20 Produzenten
und 60 „Artisten“ auf Trab. Der ist minutiös organisiert: Die „Operators“ und
Kameraleute - alles Frauen - arbeiten in Acht-Stunden-Schichten, die
Sexdarsteller wechseln alle sechs Stunden. Ein weiblicher Solo-Auftritt mit
Strip und allerlei Masturbation währt genau acht Minuten, ein Paarauftritt –
Entkleidungszeremonie, Stimulation und Koitus inklusive – ist auf 14 Minuten
terminiert. Pro Schicht arbeiten zwei Soloakteurinnen und zwei Paare. Zwei
Soli folgt stets eine Paarnummer. Also stehen die Solistinnen alle halbe
Stunde vor der Kamera, die Paare treten alle 60 Minuten zum Beischlaf an -
wenn eines fehlt alle 30.
Im Umkleideraum unter dem Studio geht es zuweilen recht
hektisch zu. Anziehen, Schminken, Treppe rauf, Strippen, Vögeln, Treppe
runter, eine rauchen, schnell ‘ne Cola dazu, Outfit
wechseln, nachschminken, Treppe rauf.... Jeder Darsteller ist verpflichtet,
pro Schicht vier verschiedene Outfits mitzubringen, Oberbekleidung, Dessous,
Sonnenbrillen, Hüte und Schals. So schafft Casarosso.com künstlich Action und
Abwechslung. Auf daß beim Kunden daheim am Browser
keine Langeweile aufkommt. Schließlich zahlt er pro Minute.
Der Bilderstrom muß fließen. Am
Anfang haben die Amsterdamer versucht, einen Hauch von Handlung dazuzugeben,
den Sex in kleine Geschichtchen zu verpacken, so wie sie es auf ihren Bühnen
machen. Das war ganz falsch: Digitaler Sex muß zeitoptimiert
sein. „Die Kunden wollen ohne Umweg zur Sachen kommen“, hat David gelernt,
„Arsch, Möse, Schwanz, Ficken, Ende.“
Im Internet bleibt
jede Lebensregung hängen, auch jeder Aggregatzustand von Sex. Millionen von
Bildern, vom harmlosen Pinup bis zur Sexfolter von
Minderjährigen mit Flammenwerfern, Plaudereien von scheu-romantisch bis
tiefordinär, Versanddienste für Videos, Lederartikel und eßbare
Unterwäsche mit Passionsfruchtgeschmack –wer lange sucht, wird alles finden.
Es gibt, schätzt David, wohl an die 100 000 Sexanbieter
im Netz. Sites mit Namen wie „Cyberporn“, „Interactivepleasures“, Hotpeep“,
„Dirtyonline“ oder „Videosecrets“,
immer mit einem „.com“ dahinter, verheißen den ultimativen
Kick. Einige machten „sehr gut Kohle“, einige ein bißchen,
das Gros aber verliere Geld. Um aufzufallen, um nur ein paar Millimeter aus
dem Datenozean zu ragen, müssen auch die Amsterdamer sich immer neue Tricks
einfallen lassen. Natürlich füttern sie die Suchmaschinen an, inserieren in
einschlägigen Druckerzeugnissen, suchen nach immer neuen Partnern, die –
gegen Prozente – den Click nach Amsterdam anbieten.
Zuhause in der wirklichen Welt ist es einfacher. Da haben
sie ihre feste Adresse, ihr hübsches kleines Monopol. Das Casa rosso ist eine
gut eingeführte Marke, das Rotlichtviertel ringsrum hat ein einzigartiges Image, es gibt im Umkreis
von einigen hundert Kilometern nichts vergleichbares.
Im wilden Internet aber kann ihnen jeder Krauter zwischen
Wellington und Mexico City das Geschäft streitig machen. Also versuchen sie,
ihr Angebot zu multiplizieren, indem sie so viele Türen wie möglich bauen.
Die Sexübungen im Oudezijds Achterburgwal tauchen
im Netz nicht nur als Casa rosso, sondern auch unter Namen wie „XXXHotel“, „Sexview“ oder
„Sexplanet“ auf, immer mit anderer Homepage, mit eigenem „Look and Feel“. Übrigens eine Lektion aus der analogen Welt: Wer
durchs Rotlichtviertel läuft, muß glauben, daß es eine Fülle von Liveshows gibt. Tatsächlich aber
ist fast alles nur Fassade, ein Potemkinsches Dorf:
An den meisten Türen stehen lediglich Leute, die Karten verkaufen und die
Kunden zur richtigen Adresse lenken. „Das ist wie bei den Waschmitteln“,
erklärt Sales Manager David lächelnd: „Es gibt zwei Pulver und 25 Marken.“
Auch technisch ist manche Pionierleistung vonnöten.
Sexprovider experimentieren mit leistungsfähigeren Online-Datenbanken, mit
besseren Formen von Chat, Internettelfonie und Videoconferencing, vor allem aber mit digitalem Cash und
der verschlüsselte Übertragung von Kreditkartentransaktionen. Jede neue
Technik brauche Sex als Testfeld und Motor, meint David. „Ohne Sex hat sie
verloren. Nimm Philips zum Beispiel, eine holländische Firma mit katholischem
Hintergrund. Sie hatte das beste Videosystem, Video 2000. Aber sie wollte
keine Pornobänder machen. Video 2000 ist tot und VHS hat gewonnen.“
Wer Sex verkaufen will, muß neueste
Technik bieten. Der Preiskrieg ist in vollem Gange: Die Holländer sind von
drei Dollar pro Minute auf gut 80 Cents
runtergegangen, das ist billiger als Telefonsex. Denn die Konkurrenz, vor
allem in den USA, rüstet nach. Da ist zum Beispiel Seth Warshavsky,
ein Prinz des Onlinesex aus Seattle. Der zog, als er gerade mit dem College
fertig war, eine Telefonsexfirma auf. „Eines nachts saß ich mit einem
Schulfreund vor dem Fernseher und sah Werbung für Telefonsex. ,Das könnten wir auch?, habe ich mehr aus zu ihm Quatsch
gesagt. Und dann haben wir losgelegt, mit 7000 Dollar und zwei Kreditkarten.“ Wieder so eine amerikanische Story.
Seth Warshavsky ist jetzt 24.
Er ist klein und immer noch apfelwangig. Mit dem
schnellen Geld aus dem Telefonsex hat er 1995 die Internet Entertainment
Group (IEG) gegründet. Dieses Jahr will er aus seinen angeblich schon 200 000
Kunden über 30 Millionen Mark herausholen. IEG bietet, verteilt über zwei
Dutzend Websites, jede Menge Pornobildchen und interaktiven Striptease. Seine
35 „Dancers“ arbeiten in einem umgebauten Lagerhaus in Seattle. Mit dem
Sexmagazin „Penthouse“ hat er einen Exklusivvertrag für alle
Online-Video-Aktivitäten der nächsten fünf Jahre. Gibt es in einem Land, wo
jedes Sexmagazin in Plastik eingeschweißt wird und sich Politiker gern als
Ritter wider den Online-Schmutz profilieren, gar
keine Probleme mit solchem Gewerbe? „Nein, nein“, beteuert der junge
Entrepreneur. Schließlich verkaufe er doch ein „geschmackvolles Qualitätsprodukt“.
Seth sitzt an einem Swimmingpool in Las Vegas und
schwelgt in Visionen, doziert über das enorme Potential des „adult business“. Er konnte ja beim Telefonsex erleben, „wie
einfach das ist und wieviel Nachfrage da ist“: Schon in den ersten Monaten
kamen mit minimalem Aufwand im Schnitt 50 Anrufe à 40 Dollar täglich. Und hat
nicht Forrester Research schon 1995 ermittelt, daß
alle Mainstream-Videos zusammengenommen weniger Umsatz gemacht haben als
Sexvideos? Den Markt schätzt Warshavsky schon
heute auf rund eine halbe Milliarde Mark im Jahr. „Und er wird in den nächsten
Jahren, mit Kabelmodems und Web-TV, explodieren.“
Die Modewörter der Branche kommen dem Mann sehr flüssig
über den Lippen. Er spricht von „wertvollem content“,
mit dem er sich „an vorderster Front positionieren“ will. An dem Tag, da das
Fernsehen und der Computer zur großen Multimediamaschine verschmelzen,
will er dabeisein, mit seinem eigenen
Medienempire. Sex war ja nur der Einstieg. Schon bietet er auch
Online-Rechtsberatung und Konkursbetreuung in allen 50 Bundesstaaten, zum
Pauschalpreis. Er experimentiert mit Online-Konzerten und natürlich mit
Online-Shopping. In spätestens 12 Monaten soll seine IEG an der Börse notiert
sein.
Fühlt er sich als Prototyp des Businessman – jung,
interaktiv, multimedial? „Yeah“, sagt er begeistert
und läßt ein kleines, nervöses Lachen hören. „Das
bin ich wohl. Mir geht es ziemlich gut. Ich bin sehr stolz auf mich. Ich bin
ein Pionier.“ Und Bill Gates ist das Vorbild? Wieder
dieses Lachen. „Oh ja, schon.“
Auch Warshavsky hat eine Vielzahl
von Türen für seine Sexangebote gebastelt. Neben saftigen Minutengebühren
kassiert er auch noch Mitgliedsbeiträge. Doch Hardcore ist in den USA nur
sehr bedingt möglich. Anders als in Holland, wo fast alles erlaubt ist. Da
gucke die Regierung, sagt Manager Toine zufrieden,
„nur, ob die Notausgänge richtig beleuchtet sind.“
Doch als Markt sind die USA auch für die Amsterdamer mit
Abstand am wichtigsten. Weil hier heute die meisten Menschen mit
Internetzugang sitzen. Und weil es eine prüde Nation ist. Manchmal versucht
David sich auszumalen, was wohl in einem texanischen Farmer vorgeht, der sich
in Amsterdam einloggt, ein bißchen Sex hollandaise guckt und guckt und guckt und dann sein
erstes Kommando eintippt. Vermutlich irgendwas anales, denn Amerikaner, damit
haben die Holländer nun schon Erfahrung, äußern meist anale Wünsche.
„Stell dir vor“, sagt David, „du lebst in irgendeinem
Kaff, draußen regnet es, deine Frau schreit dich an, weil du den Müll nicht
hinausgestellt hast. Und du sitzt vor dem Computer und siehst schönen Mädchen
an einem heißen Strand in Brasilien zu.“ Da trifft
er sich mit Seth Warshavsky, der sich ebenfalls als
Erfüller menschlicher Sehnsüchte begreift: „Alle Männer
wollen Frauen, wollen Sex. Der Mensch lebt doch von Sex, Geld und Religion.
Das sind die Dinge, die Menschen instinktiv wollen.“
Nordamerika ist so wichtig, daß
Casarosso.com sogar eine kleine Filiale in Vancouver betreibt, mit eigens
gemietetem Backbone. Man hat auch einen US-Anwalt angeheuert, um ihnen eine No-List für die Körperarbeit im Studio auszuarbeiten. Das
Ergebnis der komplizierten juristischen Erwägungen hängt neuerdings an der
Pinnwand. Bei Solodarbietungen ist seither das Einführen folgender
Gegenstände in die Vagina untersagt: „Angezündeten Kerzen, Pistolen, Messer,
Gabeln, Peitschen, Gewaltobjekte, Zigaretten oder Zigarren, Feuerzeuge
Schuhe, ganze Hände, Kleiderbügel, Küchenutensilien.“
Erlaubt sind Vibratoren, Dildos, bis zu drei Fingern, unangezündete
Kerzen, eine große Möhre, eine mittlere Banane oder eine kleine Gurke. David
nennt das „unseren Haus- und Gartensex“.
Paaren sind zusätzlich Prügel, Augenbinden, Fesseln, Haareziehen und alle Formen von Gewalt, Zwang,
Erniedrigung verboten. Sie müssen, so hat es der Anwalt formuliert, „gesund,
sauber und gepflegt aussehen“ und „immer so wahrgenommen werden, daß sie sich aneinander frei und im Einvernehmen
erfreuen“. Gestattet und erwünscht sind „normales Ficken, Saugen, Lecken und
Analsex“. „Unsere eigenen Regeln wären einfacher“, meint Toine:
„Keine Kinder, keine Tiere.“
Vor dem Haus an der
Gracht steht ein netter Holländer mit Pferdeschwanz in der Mittagssonne und
sucht die ersten Touristen anzulocken. „Bumsi bumsi?“,
fragt er und wackelt dazu verschwörerisch mit den Brauen. Ein großes Schild
verspricht: „Real fucking live show“, „Tatsächlich Ficken auf der Bühne“.
Fleischtrunkene Wandmalereien locken in den kleinen Salon mit harten
Holzklappsitzen, der Showraum für den Tagesbetrieb.
Das Geschäft kommt nur langsam in Gang. Der Saal im ersten Stock ist noch
geschlossen. Auch im Casa Rosso gegenüber sind noch die Rolläden
unten. Im Obergeschoß aber packt bereits die zweite Schicht ihre Accessoires
zusammen. An der amerikanischen Westküste ist die Nacht fast vorbei. In Tokio
wird es gerade Abend.
Heute mittag sitzt Hope am
Terminal. Was sind das für Leute, mit denen sie da per Tastatur verkehrt?
„Ach, die meisten phantasieren einfach viel“, meint sie. Vergangene Woche hat
sie den ersten Kunden leibhaftig erlebt. Ein reicher Anwalt aus den USA, der sich
jeden Tag ein, zwei Stunden einloggte, war nach Amsterdam gekommen und hatte
die Crew zu einer Party im einem Nobelhotel eingeladen. Es war wohl unendlich
peinlich. „Wir haben ziemlich viel getrunken“, sagt Hope etwas wortkarg. „Das
würde ich kein zweites Mal machen.“
Sie wundert sich einfach nicht mehr. „Nur manchmal, wenn
sie schildern, was sie angeblich alles mit ihren Frauen machen.“
Es ist einfach ein Job, „fast, wie wenn man in einer Bank arbeitet, nur eben
mit Sex“, findet sie. Die 23jährige hat auch schon vor der Kamera agiert,
gemeinsam mit ihrem Ehemann. Aber sie fand es bald „ein bißchen
langweilig.“ Tatsächlich: Schon nach kurzer Zeit im
Studio wirkt die Nacktheit rundum fast ermüdend normal, schenkt man etwa dem
Umstand, daß zwei Schritte entfernt gerade ein
Pärchen im Scheinwerferlicht vögelt, nur noch beiläufige Aufmerksamkeit.
Die Kunden sind neu-gierig, sie suchen das Geheimnis.
Männer, die länger online bleiben, scheinen sich oft mehr für die
unsichtbaren Operator-Frauen am Terminal zu interessieren als für die
Nacktdarsteller vor der Kamera. Sie versuchen, eine Beziehung aufzubauen. Sie
erzählen von ihren Hobbys. Sie schicken Blumen und machen Heiratsanträge. Sie
teilen ihre Erregung mit („Ich bin gerade gekommen.“)
Ständig bitten sie die Operators, doch auch mal ins Bild zu kommen. Gestern
Nacht erst hat ein reicher Chinese aus Hongkong Operator Lisa zu überreden
versucht, ihn doch zu besuchen. Er hat sie nie gesehen, nur ein paar schräge
Zeilen per Computer ausgetauscht. Aber er wollte ihr ein Ticket schicken und
2000 Dollar.
„Die Interaktion macht den Kick aus“, glaubt Hope. „Der
Kunde kann sagen: Mach dies, mach das.“ Er ist der
einsame Kommandant, der den nie versiegenden Fluß
dieser Bilder aus sicher Distanz beeinflussen kann. Das ist praktisch und
schön anonym. Er kann es Zuhause oder im Büro machen. Er braucht keine
schummrigen Sexshops mehr aufsuchen, um in Magazinen zu stöbern. Und auch
nicht eine dieser Videokabinen in den Rotlichtvierteln, wo er mit der freien
Hand hastig Markstücke nachwerfen muß.
Das Internet bietet viel tiefschürfendere
Formen sexueller Interaktion, etwa in den MUDs, den Multi-User Dungeons. Da
bewegen sich Menschen in selbst geschaffenen Welten, machen sich mal zart,
mal deftig an und können, in Abwesenheit einer visuellen Kontrollmöglichkeit,
auch ihr Geschlecht, ihr Alter, ihre Körperformen oder ihren Kontostand
verändern. 90 Prozent des Sexes finden ohnehin im Kopf statt, sagen
MUD-Freunde, also könne man ihn auch gut online haben, durch Worte transportierten
„TinySex“.
Forscher sind ganz fasziniert von solch neuen,
hochflexiblen Formen menschlichen Austausches, von all den neuen Egos, die da
auftauchen. Was ist das wahre Ich?, fragen sie. Das
in freier Wildbahn gefestigte? Oder das online per Mausklick veränderbare?
Womöglich einfach dasjenige, was gerade am besten paßt?
Sherry Turkle etwa, Wissenschaftssoziologin am
Massachusetts Institute of Technology (MIT),
schwärmt von einem „potenzierten Rollenspiel“, das „das Ich ist nicht nur
seines Zentrums beraubt, sondern auch grenzenlos multipliziert.“
Sie glaubt, daß die virtuelle Existenz im Internet
„die Verhältnisse dramatisiert und konkretisiert“.
Da kann Sexunternehmer Jan nur mit dem Kopf schütteln.
David winkt ab. Und auch Toine, der abgebrochene Philosoph,
hat keine Zeit für solche Fragen. Das Trio macht Geschäfte, es verkauft einen
Kurschluß im Kopf, so oft wie möglich. Und nun halt
auch per Internet. Abends beim Bier wird es sich die Feststellung erlauben, daß die Geschichte des Sex, so alt wie die der
Menschheit, wohl kaum wegen ein paar Mikroprozessoren ganz neu geschrieben
werden muß.
Auf ihrer Sex-Site geht es nicht um Experimente mit der
eigenen Identität. Sex ist hier nicht Kommunikation, sondern eine
Dienstleistung von A nach B, wie die Lieferung einer Pizza. Eine Seite - der
Kunde - kann sich im Wortsinne ein Bild machen. Genau das verlangt er: Bilder
von agierenden Körpern, die ihn anheizen. Sein eigener Beitrag bleibt
rudimentär. Er darf Kommandos geben und zahlt dafür.
Schon deshalb tun die „Artisten“ gut daran, nicht
wirklich zu experimentieren. Sie arbeiten hart am banalen Ideal, dem
herrschenden Klischee sexueller Lust. Ihre Phantasie ist nicht gefragt. Sie
werden dafür bezahlt, Wünsche zu bedienen. Sie bleiben in dieser reduzierten,
überhitzten Bilderwelt des Sexbusiness, wo alle allzeit bereit sind wie die
Pfadfinder. Und immer schön, gierig, willig, steif und feucht.
Zoë hat auch schon wieder Dienst, zusammen mit einem
dunkelhäutigen Mädchen und einem Pärchen, das aussieht, als habe Toine es eben in der Unimensa
aufgegabelt. Sie wirkt heute ein wenig gereizt, zerrt an dem Reißverschluß eines langen weißen Lackstiefels herum, bis
eine dicke Laufmasche im Strumpf ist. Kommt sie sich da oben im Studio manchmal
albern vor? „Warum?“, fragt sie zurück. „Wenn die
Kunden wünschen, daß ich auf und ab springe, tue
ich das. Und wenn sie wollen, daß ich den großen
Zeh in den Mund stecke, tue ich das auch – oder versuche es auf jeden Fall.
Das ist doch wunderbar, wenn man weiß: Da sitzt jemand irgendwo auf der Welt,
guckt mir zu, wünscht sich etwas und ich kann es für ihn machen.“
Und schon rennt wieder die Treppe hinauf, beginnt den
Tanz vor der Kamera, den sie „meine kleine Routine“ nennt. „Here is Zoë“, meldet Operator Hope. „Zeigt mir ein paar gute
Fingerübungen“, antwortet ein Kunde. „Sie soll ihre Finger in den Hintern
stecken“, schreibt ein zweiter. „Kann sie drei Finger hineinbekommen?“,
fragt ein Dritter.
„Sie wird’s versuchen“, tippt
Hope zurück. „Zoë“, ruft sie durch die offene Tür ins Studio, „könntest Du
Dir bitte drei Finger in den Hintern stecken?“
© Schimmeck
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