Der Wolfgangssee gluckert

Kai Diekmann, Politchef von „Bild“ und Freund des
Kanzlers, will „möglichst viel O-Ton Kohl“

1996 
von Tom Schimmeck 

Natürlich ist er ein bißchen skeptisch. „Sie werden mich in die Pfanne hauen“, ahnt Kai Diekmann. Er wirkt eigentlich recht fröhlich dabei. „Wenn man seinen Kopf aus dem Fenster  hält“, scherzt er und schenkt nach, „darf es auch draufregnen.“ 

Ein Masochist? Vielleicht. Mann ist ja kein Mäuschen. Und Prügel gewohnt. Wer mit 28 Polit-Chef der Bild-Zeitung wird und zugleich in die Chefredaktion aufsteigt, zieht eine gewisse Aufmerksamkeit auf sich. Wer obendrein noch die Tochter eines schwerreichen Verlegers ehelicht - in diesem Fall die Hamburger Jahr-Tochter Jonika - hat sich in der Kampfdisziplin Geld & Macht in die vorderste Reihe geschoben. Kai Diekmann zeigt wenig Zweifel, daß er hier richtig steht. 

Nun hat er ein Buch gemacht, eine Geschichte der Wiedervereinigung. Zusammen mit dem Kanzler. Auf dem Cover, das Helmut Kohl mit ausgesucht hat, prangt groß der Name des Regierungschefs samt Foto und die Feststellung: „Ich wollte Deutschlands Einheit“. Kai Diekmann und sein Co-Autor Ralf Georg Reuth haben es „aufgezeichnet“. Ein Kohl-Buch also? Oder doch echt Diekmann? Die Grenze ist, wie so oft bei ihm, verschwommen. 

Der Kanzler hat mit den Autoren an vielen Abenden im Kanzlerbungalow in seinen Akten gekramt und seine Erinnerungen diktiert. Das war gut so, sagt uns das Vorwort. Denn Sinn der Übung war, „die Sicht des Bundeskanzlers auf die Ereignisse von damals zu erfragen“ und sie aus dem Blickwinkel „einer der Hauptakteure“ nachzuerzählen. Die Verschmelzung ist total: Diekmann blickt durch Kohls Augen. Kohl spricht durch Diekmann. 

Solche Art Geschichtsschreibung mag früher als anstößig gegolten haben. Doch Diekmann empfindet den Vorhalt als absurd, als das übliche Geschwätz von Neidern, die es ganz genauso machen würden - wenn sie nur könnten. „Wenn man die Möglichkeit hat, Exklusivinformationen zu bekommen, dann nutzt man sie.“ Er hat sie. Er nutzt sie. Klar. Er durfte aus Kohls Mantel der Geschichte Staubkörnchen klopfen. „Es ist nicht interessant, was ich dazu zu sagen habe“, da ist er ganz pragmatisch, „sondern was Kohl zu sagen hat“. 

So ist es wohl. Deshalb geht Kohls Medium – Bild-Leser wissen das – die Dinge anders an. Seit Jahren schon hebt er mit ab, wenn Kohl in Strickjacke und Pantoffeln in die weite Welt jettet („unter uns die goldgelbe Wüste“). Alle Sommer wieder pilgert er zum Wolfgangsee, um mit dem Kanzler in die Tiefe zu gehen, über Bäume, Freundschaft, über Gott und das Leben nach dem Tod zu sprechen. Diekmann ist nicht nur völlig ideologiefrei, sondern auch katholisch. 

Am Wolfgangsee wird er zum dollen Dichter: „Dicht steht der Wald am Uferrand. Dann wieder fallen Felsen senkrecht ab in den See. Libellen schwirren, ein Fisch springt aus dem Wasser.“ Mittendrin Kai und Kohl:„Der Kanzler blickt über den See. Der grüne Wolfgangsee gluckert. Wir sitzen auf der kleinen Terrasse, ein paar Meter hoch über dem Uferrand.“ Richtig wunderbar wird es, wenn sie gemeinsam in See stechen: „Der Kanzler zeigt über Bord auf den See hinaus. Da drüben schwimmt meine Frau. So lange wie sie bleibe ich nie im Wasser.“ 

Zuweilen rückt der Bild-Mann auch auf Frau Hannelore vor: Furchtlos besingt er ihre weiße Bluse, ihre Cartier-Herrenuhr, ihren kräftigen Händedruck, ihren schlanken Körper; weiß auch zu berichten, daß sie um 8 Uhr morgens im Bademantel gern Obst mit Quark zu sich nimmt. 

Er hat sein Handwerk schließlich gelernt, bei „Bild“, „Bunte“ und der Pressestelle der Bundeswehr. Er darf solch exklusiven Kohlkitsch malen, weil er die Balance beherrscht: Seine Interviews wirken intim, ohne unziemliche Annäherung zu riskieren. Schon die Schlagzeile enthält, wenn es irgendwie reinpaßt, mindestens ein „Herr Kohl“, besser ein „Herr Bundeskanzler“. Das gefällt. 

Trotzdem will kein Journalist als Kohl-Lautsprecher, als Hofschranze gelten, auch Diekmann nicht. Lange hat ihn dieser „Blödsinn“ geärgert, dieses unschöne Spiegelbild, das manche Medien ihm vorhielten: Der eitle, eilfertige, aalglatte Emporkömmling. Dieser Minnesänger Kohls, dessen große Stunde schlug als ihm die Kanzlergehilfin Juliane Weber übers Haar strich. Da habe man ihm „ein Klischee angehängt“, schimpft Diekmann. Nein, er will nicht mehr schimpfen. Das alles soll nun Schnee von gestern sein. Er hat beschlossen, daß ihn Hohn nicht mehr schert. Wurde nicht neulich erst im „Stern“ des Kanzlers Schwester im Großinterview aufgefahren? Wenn er das bei Bild gemacht hätte - alle hätten ihn für verrückt erklärt. 

Ein Politikchef am Axel-Springer-Platz 1 hat solches zum Glück nicht nötig. Er hat Zugang zu ihm. Der Kanzler hat einen Instinkt dafür, was ihm nützt. Diekmann dito. Sie kommen „gut miteinander klar“. Obwohl er gerade erst Abitur machte, als Kohl schion Kanzler war. 

Ja, es ist schon klasse mit Kohl. Und die Frunede fragen auch imme viel. Da scheut sich der Junge nicht, den Alten zu rühmen. Kohl, sagt Diekmann, sei „ganz anders“, eine „beeindruckende Persönlichkeit“. Er lobt seine Konzentration, seine Ruhe, seinen „grandiosen Humor“, seine Präsenz: „Wenn er drin ist, ist jeder Raum absolut voll.“ „Der echte Kohl“, meldet Intimus Diekmann, „ist ein Mensch aus Fleisch und Blut – ganz anders als ein Denkmal“, näselt er verzückt, „ganz normal.“ 

Weil Bild-Lyrik und ein paar chice Partystorys einen Diekmann auf Dauer nicht erfüllen können, kam ihm die Idee mit dem Buch. Eine „unprätentiöse, sachliche Niederschrift“ der deutschen Vereinigung sollte es werden, mit „möglichst viel O-Ton Kohl“. Letztes Jahr am Wolfgangsee hat er ihn gefragt. Der Rest soll harte Arbeit gewesen sein. Das Wühlen in Archiven. Die Tafelrunden mit Kohl. Der Kanzler hat auch schon mal 200 Seiten zurückgegeben und gesagt: „So nicht.“ 

Nun aber ist der Kohl-Erfrager richtig zufrieden mit dem Werk. Es steht viel drin. Es wirkt fast schon bemüht seriös. Diekmann-Fans werden ob der nüchternen Sprache enttäuscht sein. Doch so ist es gut für alle Beteiligten: Für Kohl, für ihn, für Bild, wo aus dem Opus eine zwölfteilige Serie wird. „Ja“, sagt Diekmann, „das kommt auch Bild zugute.“ Eigentlich müßte man ja auch Kohl fragen, warum seine Wahl auf Diekmann fiel. Aber dazu bräuchte man wohl wieder einen Diekmann. 

Fühlt er überhaupt politisch? Jein. Sendungsbewußtsein und solches Zeug, sagt er, habe in seiner Generation keine Rolle mehr gespielt. „Das war etwas für Leute, die meinten, sie müßten der Menschheit das Heil bringen. Und das muß man fast immer verabscheuen“. Links und rechts - eine graue Vorzeit voll „unproduktiver Grabenkämpfe“. „Irre“, meint Diekmann. Er ist viel flexibler. „Passepartout“ hieß die Schülerzeitung in Bielefeld, für die der junge Kai sein allererstes Kohl-Interview machte. 

Diekmann ist die Zukunft, seine Welt ist bunt. Die Pole heißen „spannend“ und „Scheiße“ - seine Lieblingsvokabeln. Heute sei Politik ja viel offener, nichts ist festgelegt, alles möglich. Das Leben soll vor allem „überraschend“ sein, voller Thrills und Kicks. Er nimmt es, wie es gerade kommt. Mit Willy Brandt, schwört Diekmann, hätte er es genauso gemacht wie mit Kohl - wenn er eine Chance gehabt hätte. „Was ist denn heute konservativ?“, fragt er, und steckt noch eine Philip Morris  an. „Ich bin als Konservativer für Tempo 30“. Ob sein BMW das wohl fährt? 

Wenn man mit ihm zusammensitzt, ist es, als sei etwas unwiderruflich verloren: Jene Zeit, als der Mensch nicht einfach nur so, sondern nach Höherem strebte. Als es noch Ideale gab, wie verschroben auch immer. Die erscheinen einem plötzlich als dummer, romantischer Mist. Denn Diekmann markiert den Übergang von der neuen Unübersichtlichkeit zur neuen Beliebigkeit. Alles ist nun egal - ob wir von Kohl oder Joschka Fischer regiert werden, von Tom Cruise, Schumi oder Claudia Schiffer. Hauptsache, es ist spannend. 

Wie seine Karriere weitergeht? Kein Wort darüber. Macht, behauptet er, reize ihn nicht, nur „gute Geschichten“. Er ist ja kein Blödmann. Der Pferdeschwanz ist ab, der Filofax wird immer dicker. Von Kohl kann man nur lernen: Einfach stehenbleiben. Einfach dranbleiben. Wie hat der Kanzler ihm einmal gesagt? „Gestern noch war ich für manche ein Dorfdepp, heute nennen mich dieselben Leute ein Phänomen.“ Kohl, sagt Diekmann, habe sich nicht geändert. Nur seine Kritiker. 
 

© Schimmeck