TOM SCHIMMECKs ARCHIV | |||
1991 | |||
Der Schneckenritt zur Freiheit Südafrikas Wandel kommt unaufhaltsam, aber zäh. Eine Nahaufnahme im südafrikanischen Städtchen Middelburg.
von Tom Schimmeck
ie gucken, als ginge es heute geradewegs zur Schlachtbank. Der Mann, mit Khakihemd und -hose bekleidet, hält die beiden blonden Söhne fest. "Es wird Krieg geben", orakelt seine Frau, als sie aus dem Wahllokal heraustritt. Auch die junge weiße Wahlhelferin hat Angst. Gewiß sei ergreifend gewesen, Farmarbeiter zu erleben, die vor Glück zitterten, als sie zum ersten Mal einen Stimmzettel in der Hand hielten. "Aber wir haben solche Angst, daß was passiert, oh Gott." Warum sie überhaupt mitmacht? Die Studentin reibt Daumen und Zeigefinger aneinander: "Das Geld ist nicht schlecht." Die Buren werden von düsteren Visionen geplagt, sie sind verwirrt. Gäbe es nicht die "Freiheitsfront" des Ex-Generals Constand Viljoen, die mit aller Kraft den burischen "Volkstaat" schaffen will - viele wären erst gar nicht zur Wahl gegangen. Nur die geläuertsten Anhänger der Nationalen Partei und die kleine Schar weißer Liberaler haben sich fast furchtlos der Urne genähert. Im Grunde, doziert ein junger Buchhalter am Abend in der rein-weißen Disco, "verläuft die Frontlinie zwischen Christen und Kommunisten". Middelburg ist ein sehr durchschnittliches südafrikanisches Städtchen. Die Provinzmetropole im Ost-Transvaal beherbergt ein bißchen Industrie, rundherum gibt es Farmen und ein paar Kohleminen, im Zentrum ein bißchen Staatsbürokratie, einige Dutzend Kleinbetriebe und Einzelhändler, mit einem deutlichen Akzent auf Fleisch und Alkoholika. Die Geographie ist noch Apartheid pur: Die Stadt, zwei Ausläufern gen Norden und Süden inclusive, wird von rund 33 000 Weißen gehalten. Die gut 3 000 "Coloureds" (Mischlinge) leben im abgelegenen Township Nasaret, hinter dem großen Edelstahlwerk. An die 2 000 Inder bevölkern das etwas wohlhabendere Eastdene, gleich neben der Militärbasis. Die schwarze Mehrheit, derzeit auf 85 000 Menschen geschätzt, wohnt seit Generationen im Township Mhluzi, im äußersten Nordwesten der Stadt hinter einer Hügelkette versteckt. Neben den winzigen "Matchbox-Häusern" schießen immer mehr Hütten aus Blech und Pappe aus dem Boden. Auf dem Stadtplan ist es nur ein großes, weißes Nichts, markiert als "Swart Woongebied". Nur ein verstecktes Schild weist den Weg dorthin. Ortsunkundigen wird empfohlen, den Wegweisern zur Müllkippe zu folgen. Irgendwie scheint sich die weiße Stadt fast sicher, daß Schwarz-Südafrika bald en force über den Hügel kommt. Die Kirchen sind am Sonntag bis auf den letzten Platz besetzt. Junge Burschen vom "Kommando", einer Art Bürgerwehr mit Armeeanschluß, schaukeln des Nachts auf Mannschaftswagen durch die Stadt, ihr Hauptquartier ist mit Sandsäcken verbarrikadiert. Der Stadtrat ließ vor zwei Wochen ein Rundschreiben - nur in Afrikaans - an alle weißen Einwohner wo "Vorbereitungen für einen möglichen Notstand" erläutert werden: Pistolen und Autoschlüssel sollen griffbereit sein, dazu ein Rucksack, gepackt mit allem, was man im Falle einer "hastigen Flucht" braucht. Empfohlen werden Notstandsübungen mit der Familie, die Wahl eines "Blockführers" und des sichersten Hauses in jeder Straße. Die Kinder sollen in Rufweite bleiben. Fast alle haben Klopapier und Dosennahrung, Benzin und Schmerztabletten gehortet. Die Wassertanks sind gefüllt, in den Taschenlampen stecken frische Batterien. Beim Waffenhändler auf der Marktstraße ist Munition fast ausverkauft. In Mhluzi werden sie sich kaputtlachen, wenn der weiße Notstandsbrief hier erst die Runde macht. Im Township herrscht Friede: Geduldig stehen die Menschen in endlosen Schlangen vor den Wahllokalen, plaudern, lachen. Was sind ein paar Stunden nach Jahrhunderten weißer Herrschaft? Einige haben Tränen in den Augen, alle sind stolz. Selten ist es auf den staubigen Straßen so ruhig und entspannt zugegangen. Man genießt die freien Wahltage, spaziert umher. Wir haben unsere Würde wieder, sagen viele, wir sind sehr, sehr glücklich. Eine Gruppe junge Burschen, um die 14 Jahre alt, hat gegenüber dem Wahllokal in einer Hausruine Stellung bezogen, um das Treiben mit neidischen Blicken zu verfolgen. Sie machen sich über einen Kasten Bier aus dubioser Quelle her, rauchen Zigaretten und ein bißchen Haschisch. "Mandela wird Präsident", sagt einer und macht ein paar tanzende Bewegungen, "nächstes Jahr leben wir in der Stadt". "Quatsch", fährt ein älterer dazwischen. "Ich will eine AK47", ruft ein anderer Jüngling mit breiten Narben im Gesicht, "ich will mit den Buren kämpfen." Der Ältere faßt sich ob so viel heißblütigem Blödsinns nur an die Stirn. Verglichen mit den gewaltgeplagten Ghettos rund um Johannesburg und in Natal ist Mhluzi ein Paradies. Anfangs, erzählt ANC-Mann Sydney Choma, gab es auch hier Probleme mit jener anpolitisierten, halbkriminellen Jugend, die im Township-Jargon "comtsotsis" genannt werden - eine Wortmischung aus comrade und tsotsi, Genosse und Ganove. Aber als nach 1990 viele jener ANC-Recken aus dem Exil und dem Knast zurückkamen, die Mhluzi einst in den Kampf geschickt hatte, war schnell klar wo es lang geht. "Wir mußten diese Jungs vor die Wahl stellen, wer hier der ANC ist", sagt Sydney lächelnd. Seither herrscht Disziplin. Sydney hat die große Kämpferlaufbahn hinter sich, war in Angola, Tanzania, Libyen und Rußland zur Ausbildung, danach mehr als ein Jahrzehnt auf der Gefangeneninsel Robben Island. Nun ist er Fulltime-Politiker, einer, der im Township geachtet und in der Stadt als guter Verhandler geschätzt wird. Ein Optimist, der nicht nach Vergeltung schreit. Aber platzen die Leute nicht vor lauter Erwartungen auf eine bessere Zukunft? Im ANC-Büro erzählen sie von einer Farmarbeiterin, die bei der Wahl sagte: Ich hab' mein Leben lang fast umsonst geschuftet, wenn ich jetzt ANC wähle, gehört mir die Farm." "Die wird uns in fünf Jahr nicht mehr wählen", meint einer trocken. Und schon sind sie wieder bei ihren eigenen Träumen, die vor allem von schnittigen BMWs und Mercedessen belebt werden. Die meisten Townshipbewohner träumen weit moderater: Von Jobs, einer anständigen Behausung, von fließendem Wasser und einer besseren Ausbildung für ihre Kinder. Die schwarzen Lehrer, die rekrutiert wurden, um in der Community Hall die Wahl durchzuführen, werden morgen ganz normal wieder zur Arbeit gehen. Die meisten haben 33 Stunden lang non-stop Wahlurnen gestemmt und Stimmen ausgezählt. Das gute Gefühl, diesen Augenblick erlebt zu haben, war stärker als alle Müdigkeit. Nur die lange Reihe der wieder versiegelten Wahlurnen und ein Müllberg aus Gummibändern und zerknittertem Papier, aus Pappbechern und Sandwichresten zeugt noch von der historischen Anstrengung. Das neue Südafrika kommt im gebremsten Schneckentempo über Middleburg. Und doch hat sich einiges getan. Früher, erinnert sich der Anwalt Peter Brandmuller, hatten NP (die Nationale Partei), Broederbond und die kalvinistische Kirche "totale Kontrolle über die Stadt". Da galt einer schon fast als Kommunist, wenn er englisch sprach. Das burische Altenheim verweigerte noch Anfang der 70er Jahre die Annahme eines von den Rotariern gespendeten Klaviers. Begründung: Die Organisation sei "volksfremd". Brandmuller war einst selber NP-Mann, kurze Zeit sogar Mitglied in der rechtsradikalen Konservativen Partei, die hier die letzten Jahre den Stadtrat beherrschte. Mit Gruseln erinnert er sich an "diese bullige Machtpolitik", das dumpf-unifome Denken im weißen Lager. Inzwischer ist er zum Vorsitzenden des örtlichen Friedenskommittes mutiert, zugleich auch Aktivist im "Middelburg Forum", eine Art Runder Tisch, an dem ANC und NP, die meisten Kirchen, Geschäftsleute, Polizei, Armee und neuerdings sogar der Stadtrat vertreten sind. Das Forum ist vier Jahre alt, so alt wie die Reformpolitik von Präsident Frederik Willem de Klerk. "Am Anfang sprudelte viel Wut", sagt Brandmuller, "aber das war nötig. Es muß kochen, sonst kommt das Gift nicht raus." Als zwischen Stadt und Township die Spannungen wuchsen, konnte das Forum vermitteln. Mhluzi hatte beschlossen, sich dem schwarzen Konsumentenboykott gegen weißes Business anzuschließen - einer Anfang der 90er Jahre überall im Land erprobte Kampfform. Der Stadtrat schlug zurück, drehte dem Township erst den Strom und dann das Wasser ab. Um den offenen Krieg zu verhindern, ließ das Forum Brunnen im Township bohrenund zahlte einen Teil der rückständigen Stromgebühren, um Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Auch beim größten Arbeitgeber, Columbus Stainless Steel, wird das neue Südafrika einstudiert. Die Firma investiert Milliarden in ein riesiges neues Edelstahlwerk mit 2 000 Arbeitsplätzen, in den letzten Monaten hat das Management viel Energie in den Betriebsfrieden gesteckt, schließlich kostet ein Tag Stilstand etwa eine Million Mark. Weiße und schwarze Arbeiter lernen in "Toleranzworkshops", besser miteinander umzugehen. Zuvor, berichtet Manager Howard Cox, "waren 14 von 15 weißen Vorarbeitern überzeugt, daß nach der Wahl ihre Frau vergewaltigt, ihre Kinder verprügelt und ihr Haus beschlagnahmt wird." Allmählich jedoch sei allen klar geworden, "daß sie das gleiche wollen: Jobs, Wohlstand und Frieden". Inzwischen gibt sich selbst das Gros der weißen Rechten geläutert. Die Hardliner von der Konservativen Partei sind fast komplett zur "Volksfront" übergelaufen. Etwa Bürgermeister Gerhard van Zyl etwa, der Middelburg schon als blühendes Wirtschaftszentrum im "Volkstaat" sieht. Soll die Stadt weiß bleiben? "Am liebsten ja. Aber natürlich müssen wir respektieren, daß jetzt jeder überall Grund erwerben kann." Sein Kumpel Gerrie Gerrits, hiesiger Vorsitzender der Farmerunion und der Freiheitsfront, zieht den wilden historischen Vergleich zu Israel. "Alle brauchen eine Heimat", sagt er, "aber wirtschaftlich muß unser Volkstaat mit Südafrika verbunden bleiben." Noch so ein Rechtsradikaler, der Kreide gefressen hat. Seine Farm steht unter Polizeischutz - ein paar alte Kameraden sehen in ihm einen Verräter und drohen mit Bomben. Mit den ANC-Leuten hatte Gerrie Gerrit in den letzten Wochen umso mehr Kontakt. "Wir sind uns sehr nah gekommen, das ist fast irreal", berichtet der Farmer staunend. Und zeigt beim Abschied gar Verständnis für schwarzen Zorn: "Wenn mir das passiert wäre die letzten 340 Jahre", meint der bullige Kerl ganz ernst, "ich wäre verrückt geworden."
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