TOM SCHIMMECK
(2020)

Ein Knigge für den
kommenden Kulturkampf

Rezension: Bernhard Pörksen / Friedemann Schulz von Thun: "Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik", Carl Hanser Verlag, 224 Seiten, 20 Euro. (erschienen 17.02.2020)

Allenthalben wird eine spürbare Diskursverwilderung diagnostiziert. In ihrem Gesprächsband "Die Kunst des Miteinander-Redens" treffen sich zwei Denker, um gemeinsam nach "Auswegen aus der Polarisierungsfalle" zu suchen. Mit unerschütterlichem Aufklärungsoptimismus.

von Tom Schimmeck

"Wo liegen die Ursachen für die große Gereiztheit, für die Sofort-Eskalation öffentlicher Debatten, für den Hass und die Wut, die das Kommunikationsklima der Gegenwart zu ruinieren drohen?" Bernhard Pörksen stellt diese Frage gleich im allerersten Satz des Buches. Für den Medienwissenschaftler an der Universität Tübingen durchaus eine Schicksalsfrage für die Demokratie, die zügig beantwortet werden muss.

Es ist sein Thema. Pörksen, Jahrgang 1969, hat viel über die Dynamik öffentlicher Empörung nachgedacht. Auf der Suche nach Antworten stieß er auf Friedemann Schulz von Thun, Jahrgang 1944, Psychologe und Kommunikationswissenschaftler.

Pörksen: "Die Kommunikationspychologie hat ganz viele Modelle, Friedemann Schulz von Thun hat ganz viele Modelle entwickelt, die aber in der Regel eingesetzt werden, um Einzelnen zu helfen oder ganz kleinen Teams. Und unsere Frage war: Kann die Kommunikationspsychologie nützlich sein, um auch öffentliche Debatten zu entgiften? Können wir so systematischer verstehen, wie die Dynamik der Abwertung, die Dynamik der Eskalation, die Dynamik der Polarisierung funktioniert?"

Schulz von Thuns drei Bände über das "Miteinander reden" – der erste erschien schon 1981 – gelten als Klassiker. Er hat das "Kommunikationsquadrat" erdacht. Es lehrt uns, dass in jeder Äußerung vier Botschaften präsent sind. Zur reinen Sachinformation treten die "Selbstkundgabe" " gemeint ist ein Quäntchen Persönlichkeit, ein Beziehungshinweis " wo stehen wir miteinander? " und der Appell " ein "Was will ich von Dir?". Der Sender, sagt Schulz von Thun, spreche mit "vier Schnäbeln", der Empfänger höre mit "vier Ohren".

Das Duo Pörksen / Schulz von Thun wagt in seinem Buch nun den Versuch, den Bogen zu schlagen vom individuellen Kommunikationschaos –vom zankenden Ehepaar oder dem krisenüberwältigten Manager – zum großen Gesellschaftsganzen und dessen defektem Diskurs. Die beiden Denker wollen Rezepturen der Heilung finden, "Techniken der Abkühlung", wie Pörksen sie nennt. Seit 2014 haben sich Pörksen und Schulz von Thun alle paar Monate getroffen; diskutiert und disputiert.

"Sobald ich den Mund aufmache, gehe ich das Risiko ein, dass ich nicht so ankomme, wie ich es gemeint habe " und dass meine Äußerung eine ganz andere Wirkung hat als beabsichtigt", schreibt Schulz von Thun im Nachwort über Gemeinsamkeiten von öffentlicher und privater Kommunikation. Hier wie dort klaffen das Gesagte und das Gemeinte oft weit auseinander. Weshalb Äußerungen aus Politik und Business, ob ihrer Massenwirkung, meist frisiert, optimiert und auf ihre Wirkung getestet werden. Auf dass die Umfragewerte nicht einbrechen, die Börsenkurse nicht absacken. Das mag verantwortungsvoll sein, birgt aber Gefahren:

"Die eine besteht darin, dass nur noch risikolose Phrasen und pauschale, 'abgesicherte' Textbausteine verwendet werden, in denen die Senderin oder der Sender zwar nicht angreifbar, aber auch nicht mehr wirklich greifbar wird. Die andere Gefahr ist der aufkommende Manipulationsverdacht: Das raffinierte Kalkül hinter der Verlautbarung wird spürbar, und plötzlich vermissen wir als Empfänger etwas: den ungeschminkten Klartext (angesichts geschmeidiger Diplomatie und Abgewogenheit), das Authentische (angesichts aalglatter Fassade), das Menschliche (angesichts perfekter Professionalität)."

Ein Dilemma. Dilemma ist überhaupt so etwas wie die Leitvokabel des Buches. Die beiden Autoren spielen typische Argumentationsscharmützel durch, bei denen sich Gräben garantiert vertiefen. Und sind doch wild entschlossen, nicht zu verzweifeln.

Pörksen: "Es geht nur so. Es geht nur im Diskurs. Es geht nur in der Debatte. Demokraten, die andere nicht bevormunden wollen, Demokraten, die überzeugen wollen, sind aus meiner Sicht bis zum absolut endgültigen Beweis des Gegenteils zu einem Diskursoptimismus verpflichtet. Hoffnung ist so gesehen alternativlos."

Die Hasser und Pöbler seien eine Minderheit, sagt Pörksen. Wiewohl laut und hochaktiv. Sie prägen das Klima. Sie machen längst Staat " in Brasilien und Ungarn etwa, auf den Philippinen, in den USA. Die Mehrheit hierzulande, die deutsche "Mitte", glaubt Pörksen, stehe für eine offene Gesellschaft. Und müsse dringend lauter werden.

Pörksen will die Klinge kreuzen mit all jenen, die mit der Vorsilbe "post" hantieren, die "Postdemokratie" und das "postfaktische Zeitalter" ausrufen. "Dieses Gerede von einem postfaktischen Zeitalter ist ein Indiz dafür, wie weit das Vokabular der Resignation in die gesellschaftliche Mitte bereits eingedrungen ist. Die Narrative des Niedergangs sind nicht nur bei den Rechtspopulisten präsent."

Hier werde, sagt Pöksen, tatsächlich vorhandene Wahrheits- und Wissenskrise zu einem finalen Gesellschaftsbefund aufgeblasen.

"Aber das ist vorschnell. Das ist falsch."

Pörksen und Schulz von Thun versuchen, Brücken zu schlagen, eine funktionierende Mischung aus Empathie und Konfrontation zu finden. Sie regen an…

"…darüber nachzudenken: Was ist eigentlich beschützenswert in einer Position, die mir erst einmal als blödsinnig, übertrieben und quatschig erscheint? Und da helfen uns solche Modelle der Kommunikationspsychologie, um das überhaupt zu entdecken. Der Beginn von einem wirklichen Gespräch ist ja ein Minimum an Wertschätzung, ein Minimum an Würdigung. Sonst funktioniert das nicht." In manchen Passagen liest sich das Buch wie eine Art Knigge für den kommenden Kulturkampf. Mit Messer, Gabel und Tischsitten.

Pörksen: "Diese Zukunftstugend, würde ich sagen, ist die Tugend der respektvollen Konfrontation."

Das klingt anständig und – im besten Sinne – liberal. Und doch wirken die beiden so gebildet plauschenden Herren mitunter wie zwei Gouvernanten beim Tee. Unterschätzen sie die heraufziehende Bedrohung? Pörksen widerspricht:

"Ich bin total nervös. Ich frage mich ganz ernsthaft, ob die Zeit reicht, so dass sich das Prinzip Aufklärung durchsetzt. Und was passiert eigentlich, wenn die andere Seite, die Seite des aggressiven Populismus, in einer vollkommen anderen Arena spielt, in der der zwanglose Zwang des besseren Arguments schlicht und einfach nicht zählt. Sondern die brutale Durchsetzung mithilfe von Desinformation, mithilfe von Macht, mithilfe von Brutalität."

Wir müssen Aufklärung neu denken, sagen die Autoren. Und deren neue Leitwissenschaft sei nicht mehr die Philosophie, sondern die Psychologie.

Pörksen: "Wir müssen verstehen: Wie verändert sich die Medienwelt? Und wir müssen begreifen: Unter welchen psychologischen Voraussetzungen können wir eigentlich einen anderen Menschen überhaupt noch erreichen?"

Hier endet die Gemütlichkeit.

Pörksen: "Und wir werden nicht alle erreichen können."

Zugleich räumt Pörksen eine andere aktuelle Deutung des galoppierenden Irrsinns ab: Die Theorie von der "Filterblase", in der sich vorgeblich nur Gleichgesinnte suhlen. Unfug, glaubt er, ein Mythos.

Pörksen: "Das Problem ist ein anderes. Wir sehen zu viel – zu viel Andersartigkeit, nicht zu wenig. Und mit dieser neuartigen Konfrontation, mit einer Überdosis Weltgeschehen, damit müssen wir erst einmal fertig werden. Wir leiden als Gesellschaft unter Schmerzen der Sichtbarkeit."

Vielleicht, konzediert Pörksen, sei sein Optimismus ein bisschen naiv. Oder nur kühne Behauptung.

Pörksen: "Nur ich sage Ihnen eines: Im Letzten ist die Hoffnung, dass Aufklärung gelingt, eine Art Entscheidung. Es ist eine Entscheidung einer unentscheidbaren Frage. Niemand weiß, was die Zukunft bringt. Und im Letzten hat man, selbst wenn es schief geht, als Aufklärungsoptimist das bessere Leben geführt."


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