TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Oktober 2005
 

Gott oder Affe

Militante Anti-Evolutionäre wollen den himmlischen Herrscher durch die Hintertür in die Welt der Wissenschaft schmuggeln. Ihr Kunstgriff: "Intelligentes Design"

Von Tom Schimmeck

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ie Schlacht tobt seit langem. Schon 1925 kam es zum Prozess. Im berühmten monkey trial (Affenprozess) stand John Thomas Scopes, ein junger Lehrer in Dayton, Tennessee, unter Anklage, weil er es gewagt hatte, seinen Schülern im Biologie-Unterricht die Evolutionstheorie nahezubringen - nach den Gesetzen von Tennessee ein Verbrechen.

Das 21. Jahrhundert hat längst Fahrt aufgenommen, der Streit aber ist mitnichten erledigt. Darwins Theorie steht wieder unter Feuer, von Gotteskriegern, die den Gedanken noch immer nicht ertragen können, dass der Mensch vom Affen abstammt. Dass, schlimmer noch, auch diese Krone der Schöpfung aus einer Ursuppe kam, in der dumme Einzeller wimmelten. Und dass der Vorgang obendrein deutlich länger als sechs Tage währte.

Fürwahr: Darwins kluge Lehre ist eine Theorie. Aber sie ist, wie Henry Kelly, Präsident der Federation of American Scientists, formuliert, "die robusteste Theorie der Wissenschaftsgeschichte": Fast 150 Jahre alt und noch immer verblüffend schlüssig - die beste Erklärung für den Ursprung des Lebens. Obwohl Charles Darwin keinen Dunst hatte von der DNS. "Wenn Darwin einen Weg gesucht hätte, den Beweis seiner Theorie anzutreten", meint Francis C. Colins, bekannter Lenker des Genom-Projekts und selbst bekennender Christ, "hätte er keinen besseren finden können."

Wissenschaftler führen spannende Debatten über Detailfragen der Evolution, aber keine ernsthafte Kontroverse über deren Substanz. Und doch kann man nachvollziehen, warum dieser Darwin damals, zu Zeiten des "Affenprozesses", so besonders beunruhigend wirkte. Es war die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die Weltwirtschaftskrise schon im Anmarsch. Das Missbehagen an der herzlosen Brutalität der Moderne war so groß wie der Bedarf an einem beschützenden, allwissenden Gott. Survival of the fittest - das Überleben des Stärksten, musste vielen als äußerst inhumanes Konzept erscheinen. Wollte man das Prinzip als Regel menschlichen Zusammenlebens etablieren - wonach freilich nur extrem marktradikal tickende Zeitgenossen streben -, wäre es dies ja auch.

Die großen Kirchen halten sich aus der Wissenschaft meist heraus. Sie haben da seit Galileo Galilei eher ungute Erfahrungen. Evangelische Fundamentalisten aber ersehnen mehr: Die totale Bekehrung. Sie streben danach, dass alle Menschen die Bibel wortwörtlich nehmen, inklusive Adam und Eva, Sintflut und Arche Noah, dass Darwin im "Mülleimer der Geschichte" verschwindet und mit ihm alle Geologie, Astrologie, Paläontologie. Ihr Aggressionspotential ist beträchtlich. Vor allem in den USA, dem Land des unbegrenzten Sektenwesens.

Unter Ronald Reagan sind sie aufgewacht, unter George Walker Bush wurden sie zur politischen Macht. An der Basis, in den Schoolboards und den Parlamenten der Bundesstaaten, wimmelt und gärt es wie einst in der Ursuppe. 1999 erreichten "Kreationisten" in Kansas, dass die Evolution aus dem Lehrplan des Staates getilgt wurde. Der Spuk endete, als die christlichen Konservativen im Schulrat bei Wahlen 2002 durchfielen. 2004 aber verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse erneut zu ihren Gunsten. Gott versus Darwin geht weiter.

Der Oberste Gerichtshof betrachtet es bislang als abwegig, die Schöpfungsgeschichte in staatlichen Schulen als Wissenschaft zu lehren. Doch radikale Christen haben eine neue Strategie ersonnen und die Genesis hübsch eingekleidet: Mir der Theorie vom "intelligenten Design". Sie betet nicht einfach die Bibel nach. Sie sagt: All dieses fabelhafte Leben auf Mutter Erde, zuvörderst der unübertreffliche Homo sapiens, sei viel zu komplex und wunderbar, als dass es einfach so in Jahrmillionen per Versuch und Irrtum habe entstehen können. Vielmehr müsse es einen genialen Ingenieur, ein master intellect, einen Schöpfer gegeben haben, der genau wusste, was er da tat.

Die neuen Missionare sind rührig und äußerst prozessfreudig. Überall wird die neue Wunderwaffe "ID" in Stellung gebracht, um das zentrale Konzept der Biologie zu Fall zu bringen. Zu Beginn dieses Jahres waren in 13 Bundesstatten bereits 18 Gesetze eingebracht worden, berichtet Eugenie Scott, Leiter des National Center for Science Education in Oakland, Kalifornien. Seit vergangenem November zählte das Zentrum 78 Versuche in 37 Bundesstaaten, das Unterrichten der Evolutionstheorie zu unterminieren. Manch US-Kino zeigt Wissenschaftsfilme, die allzu "evolutionär" argumentieren, schon nicht mehr, weil das gläubige Publikum daran Anstoß nehmen könnte. Im Zoo von Tusla, Oklahoma, tauchten plötzlich Schautafeln auf, die den staunenden Besuchern die Entstehung der Welt binnen sechs Tagen erklärten. Als es Protest gab, verschwanden sie wieder.

Zum Teufel mit Fossilen, Genomvergleichen und der Alterstbestimmung per Kohlenstoff-14-Methode. Mit Hilfe einiger vermeintlich respektabler Köpfe und Bastionen wie dem Discovery Institute, gelang es den "Kreationisten", das Intelligente Design, kurz ID, auf dem Markt der Ideen zu platzieren. Nun heißt es: Darwin ist nicht allein, nur einer unter vielen. Gebt den lieben Kleinen die Wahl.

In Dover, Pennsylvania, wurde den Schülern im Fach Biologie Anfang dieses Jahres mitgeteilt, Evolutionstheorie müsse zwar laut Lehrplan unterrichtet werden, intelligentes Design aber sei "eine andere Erklärung für die Entstehung des Lebens". Die Schüler sollten doch in die neuen, gespendeten Lehrbücher schauen. "Das ist ein trojanisches Pferd", klagt Witold Walczak von der American Civil Liberties Union in Pennsylvania, "um den religiösen Kreationismus wieder zurück in die Klassenräume zu bringen."

Der Siegeszug des ID erleidet so manchen Rückschlag. So verbot ein Gericht in Georgia Aufkleber auf Schulbüchern, die warnten, Evolution sei "nur Theorie, keine Tastsache". Ein Gesetz in Florida, das Schülern die Möglichkeit eröffnet hätte, Lehrer zu verklagen, die "einseitig" zu Darwin tendieren, wurde kassiert. Auch Spott gibt es reichlich. In Kansas begehrt nun eine neue "Church of the Flying Spaghetti Monster" ebenfalls Unterrichtszeit. Die Schüler, argumentieren die "Pastafarier", müssten alle Sichtweisen kennenlernen, auch ihre Lehre, demzufolge das Universum "von einem fliegenden Spaghettimonster kreiert wurde". Im Internet begeistert die neue Kirche bereits Millionen.

Schützenhilfe bekamen die Anhänger der Pseudowissenschaft ID dafür Anfang August von höchster Stelle. Präsident Bush befand daheim in Texas, ID solle endlich in der Schule gelehrt werden, damit "die Leute verstehen können, worum die Debatte geht". Bushs Wissenschaftsberater John Marburger III, hatte kurz zuvor noch erklärt, die Evolution sei ein "Eckstein der modernen Biologie", ID hingegen "kein wissenschaftliches Konzept". Das sei keine Wissenschaft, schimpft auch Alan Leshner, Chef der American Association for the Advancement of Science, "nicht einmal eine wissenschaftliche beantwortbare Frage". Fred Spilhaus, Direktor der the American Geophysical Union, konstatiert, "der Präsident habe leider Wissenschaft und Glauben durcheinander gebracht".

Auch die Öffentlichkeit ist zusehends verwirrt. Eine Gallup-Studie vom November 2004 zeigt: Nur noch 35 Prozent der US-Bürger betrachten die Evolutionstheorie als eine von vielen Fakten untermauerte Theorie. Ebenso viele meinen, sie sei nur eine von vielen. Und 29 Prozent zuckten mit den Schultern - weiß nicht.

In Europa wird der neue Feldzug nur sporadisch sichtbar, in Großbritannien etwa, wo private Spender, die in heruntergekommen Schulen investieren, beim Curriculum mitreden dürfen. Ein fundamentalistischer Autohändler hat den "Kreationismus" so nach Gateshead im Nordosten Englands gebracht und expandiert. In den Niederlanden lehren Sekten die biblische Lehre in ihren Schulen. Serbien verbot vergangenen September kurzzeitig das Unterrichten der Evolutionstheorie - bis Wissenschaftler und auch orthodoxe Bischöfe protestierten. In Afrika und Lateinamerika sind die feuereifrige Christenfundis auf dem Vormarsch. In der Türkei haben Lehrer, die über Evolution sprechen, seit einigen Jahren Probleme. In Pakistan, berichtet das Magazin "New Scientist", werde Darwin an Universitäten nicht mehr gelehrt.

Vielleicht muss man die neue Tarntheorie kurz zu Ende diskutieren. Und fragen: Wenn es diesen genialen Schöpfer gab, wo kam er her? Wer hat ihn geschaffen? Ein noch genialerer? Dr. No? Dr. Mabuse? Oder Dr. Seltsam? Warum quält er uns mit Weltkriegen, Wirbelstürmen und einer Wirbelsäule, die fast jedem aufrecht Gehende irgendwann Schmerzen bereitet? Und schließlich: Ist dieser George Bush, der Wissenschaft so lässig beiseite schiebt, wenn Großspender oder die politische Agenda es verlangen, wirklich ein Beweis für intelligentes Design?

Sein Amtsvorgänger Woodrow Wilson, wiewohl Pfarrerssohn, war schon 1922 weiter. "Wie jeder andere Mensch von Intelligenz und Bildung", schrieb er, "glaube ich an die organische Evolution. Es überrascht mich, dass solche Fragen heutzutage überhaupt noch gestellt werden."


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