TOM SCHIMMECKs ARCHIV
10. Oktober 2008


„Das Krisengeschäft
ist krisensicher“

Die Zunft der Pressesprecher beleuchtet in Berlin aktuelle und überstandene Katastrophen und sehnt sich nach mehr Kontrolle.

von Tom Schimmeck

K
rise ist das Wort der Wir machen PRStunde. Auf dem Berliner „Kommunikationskongress“, wo sich am Donnerstag und Freitag an die 1000 Pressesprecher und PR-Kräfte drängten, war sie in aller Munde. Die Krise als Herausforderung. Und als Geschäft. 

Je größer die Krise, desto mehr sehnen sich die Pressesprecher deutscher Konzerne, Verbände und Parteien nach Kontrolle. Keiner wartet mehr artig auf den Anruf der Medien. Viel Geld und Ehrgeiz steckt die Public Relations-Branche in den Versuch, das Bild ihrer Schützlinge – Firmen, Fernsehstars und Fußballvereine – in der Öffentlichkeit zu bestimmen, Nachrichten zu produzieren und Themen „setzen“. Längst bieten Spezialfirmen „ein perfektes Ereignis aus einer Hand“.

Während in den meisten Redaktionsstuben immer weniger Köpfe immer mehr leisten müssen, wird die PR-Branche beständig potenter und raffinierter. „Redakteure haben oft nicht mal mehr Zeit, Zahlen zu prüfen“, klagt Lars Großkurth, Präsident des Bundesverbandes der Pressesprecher, der in den fünf Jahren seiner Existenz 3600 Mitglieder gewonnen hat. Auch Sprecher, meint Großkurth, im Hauptberuf Kommunikationschef der Reemtsma Cigarettenfabriken, hätten „Interesse an einer soliden Recherche“.

In Grenzen. Zuweilen stört der Journalist einfach den Weg der perfekt gestylten „Message“ vom Sender zum Empfänger. Stolz sind die „Kommunikationsprofis“, wie sie sich selbst gerne nennen, auf all ihre tollen „Tools“ der Meinungsmache und -kontrolle. Der klassische Pressespiegel etwa, einst eine Mappe mit Zeitungsausschnitten über die Firma, die jeden Morgen dem Herrn Direktor vorgelegt wurde, ist heute ein digitales Machtinstrument. Unmengen von Artikeln, Sendungen, Blogs werden digital erfasst und fleißigen „Codierern“ gewichtet. Per Knopfdruck kann der Kommunikationschef nun ermitteln, ob die Pressemitteilung von vorgestern wirksam war, wie viele Medien sie wortgenau geschluckt haben. Benchmarkings verraten ihm, ob der Herr Vorstandsvorsitzende derzeit in mildem Rampenlicht steht. Und wie viel besser die Produkte der Mitbewerber „rüberkommen“. „Am Ende ist es Fliegenbeinzählerei“, bekannte Andree Blumhoff, Herr über 45 Analysten bei PMG Presse-Monitor, wo auch emotionale Faktoren schon beziffert werden. Das Vertrauen in die DAX- Finanzwerte, berichtete Blumhoff, habe schon in den Monaten vor der großen Krise „schleichend abgebaut“.

„Agenda setting“ gilt als Königsdisziplin. Max Höfer von der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) erklärte einer begierigen Kollegenschar, wie man sich Medienpräsenz erkämpft: mit prominenten Nasen und gezielt gesteuerten Ereignissen. Man müsse, dozierte Höfer, „Gesichter mit bestimmten Botschaften in ein Event setzen“. Seit neun Jahren betreibt die Initiative mit Millionen vom Arbeitgeberverband Gesamtmetall „Reformkommunikation“, suchte sie sich „Botschafter“ in fast allen Parteien und gründete „Medienpartnerschaften“ mit namhaften Presseorganen. Dazu kommen „wissenschaftliche Studien, die wir uns machen lassen“, so Mitgeschäftsführer Dieter Rath. Die Studien und „Rankings“ der INSM stoßen regelmäßig auf ein breites Medienecho. Was aber geschieht, wenn das Ergebnis einer Studie nicht zur angepeilten Botschaft passen will ? „Da muss man halt die Ergebnisse, die einem besser schmecken, nach vorne heben“, sagt Rath.

Begeistert schilderten Höfer und Rath eine Aktion mit Wolfgang Clement zu Wochenbeginn: Das Institut zur Zukunft der Arbeit hatte im Auftrag der INSM eine Studie zum Arbeitsmarkt fertig gestellt. Nun wurden Institutschef Klaus Zimmermann und Ex-Minister Wolfgang Clement, warmherzig als "einer der Väter der Agenda 2010“ gepriesen, vor einem Großtransparent im Zentrum Berlin platziert. Darauf stand in Riesenlettern: „Herzlichen Glückwunsch! Nur noch 4 Millionen Arbeitslose!“. Die Vier war durchgestrichen, durch eine Drei ersetzt. Während die Herren unterstrichen, wie bedeutsam es sei, an der Agenda-Politik festzuhalten, hangelte sich ein Fassadenkletterer die Plakatwand  hinauf, strich die Drei durch und ersetzte sie durch eine Zwei. „Da kommen natürlich die Medien hin,“ frohlockt Höfer. „Das wird abgefilmt.“

Der Spaß hatte laut Rath 160 000 Euro gekostet. Der INSM war er das wert. Anders als die knapp 60 000 Euro, die man 2002 in die ARD-Seifenoper „Marienhof“ investierte – um Botschaften der Organisation in die Drehbücher einfließen zu lassen: Weniger Staat, mehr Zeitarbeit. Auch andere luden im „Marienhof“ ihre „Message“ gegen Gebühr ab: Verbände der Versicherungswirtschaft, der Arzneimittelhersteller und der Apotheker, ja selbst das Kinderhilfswerk World Vision zahlten fleißig für gute Worte. Als alles herauskam, war die Empörung groß. Hat die INSM damals daneben gelangt? „Ich nicht, Sie?“, antwortete Höfer und gab den Ball an Rath weiter. Der schimpft über „diese heuchlerische ARD“. Denn „in diesen Beiträgen, die wir ‚gekauft’ haben, wenn man das böse mal so nennt“, sei ja nichts Anrüchiges gewesen. Doch „das Verfahren“, ergänzte Rath selbstkritisch „war halt Mist.“

Gleich darauf ergriff Ex-Regierungssprecher Béla Nikolai Anda das Wort, heute „Chief Communication Officer“ des Finanzdienstleisters AWD. Er sprach vom Krieg und vom Wetter, warf dazu launige Bilder von Flugzeugträgern und Flutkatastrophen an die Wand. Und erinnerte sich an seine Jahre bei „Bild“, einem Organ, das er bis heute für unbedingt „kampagnenfähig“ hält. Damals, berichtet Anda, hätten „Bild“-Redakteure Abgeordnete angerufen und ihnen eröffnet: „Wir haben für sie heute folgendes Zitat vorgesehen.“ Zum „Agenda setting“ kam bei Anda das „Agenda surfing“. Der kluge Kommunikator, lehrte er, nutze jede aktuelle Medien-Welle – „indem ich mich draufschwinge, sie reite und auch bediene“.

So abgebrüht die PR-Profis inzwischen sind. In Zeiten echter Krisen haben auch sie Angst. Mit leichtem Gruseln lauschten viele etwa Geraldine Schroeder vom Stromriesen Vattenfall, die zu schildern wusste, wie turbulent es in Pressestelle und Konzern zugeht, wenn ein AKW brennt. „Wir sprechen immer nur über Tools, über unsere Instrumentenkästen“, sagte Schroeder, „aber wir müssen besser verstehen, wie die Menschen ticken“.

Oft suggerieren chice Anglizismen nur die Kontrollierbarkeit der Katastrophe. Kaum ein „Change Management“ verhindert wirklich den Börsensturz. Auch beim „Issues Management“, dem Jonglieren der heiklen Themen, wird am Ende nicht jeder „Stakeholder“ glücklich sein. Umso zufriedener zeigten sich in Berlin die echten Krisenprofis. In einer Ecke hielt Klaus-Peter Johanssen Hof, ein Katastrophen-Veteran, der etwa 1995 geholt wurde, als Shell mit der Bohrplattform Brent Spar sein Image in der Nordsee zu versenken drohte. Johanssen verhandelte damals mit Greenpeace; anfangs zum Entsetzen der britischen Manager. In Berlin ließ sene Firma Johanssen+Kretschmer Traubenzucker verteilen, umwickelt mit den Worten: „Wissen. Wirkung. Werte.“

Was tun? „Verständnis wecken“, meinte Ex-Journalist Peter Höbel von PGRS Crisadvice, seit Jahrzehnten Krisenberater für Chemie, Pharma und Luftverkehr, der just den Flugzeugabsturz in Nepal betreut hatte. Firmen müssten im Krisenfall  „Kompetenz, Fürsorge, Wertschätzung“ verströmen. Und mit der Angst umgehen, bei Opfern wie „Schädigern“. Da helfe nur Vertrauen, das man „bewahren, fördern oder schaffen“ müsse. Die Banken etwa fürchteten nun vor allem die Massenpanik der Kunden. „Das Vertrauen ist massiv angeknackst“.   

Krisen sind komplex. Weil bei einem handfesten Firmenskandal schnell eine Unzahl von Akteuren aktiv sei: Ermittler, Anwälte, Angehörige, Medien, die liebe Konkurrenz. „ Da sind ruckzuck 50 oder mehr Beteiligte im Spiel. Und alle kommunizieren.“ Höbel schien dies fast zu freuen. „Das Krisengeschäft“, meinte er lächelnd, „ist krisensicher“.



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