TOM SCHIMMECKs ARCHIV | |||
2004 | |||
Gurus, Berge und Billionen Der Dollar bröselt, die liebe Leitwährung fällt und fällt. Schon wirkt die ganze Architektur der Weltfinanzen ein bisschen baufällig. von Tom Schimmeck
Flexibel ist der Mann gewiss, hat Reagan, Clinton und zwei Bushs gedient. Er wacht im US-Irrenhaus. Sein Räuspern bewegt Milliarden. Ein jungsmarter Fabulierer beim "New Republic" erfand 1998 die Story, New Yorker Investmentbrokern hätten einen Greenspan-Schrein errichtet. Der Fake fiel eher zufällig auf. Genauso hätte es sein können. Greenspan ist der Gott des Glaubens, dass der Markt, wenn man ihn nur lässt, alle Wunden heilt. Also gab er Bushs gigantischen Steuergeschenken seinen Segen, suchte sie gar für alle Zukunft festzuschreiben. Den gesetzlichen Mindestlohn mag er weniger. Greenspan fürchtet Inflation schon, wenn Angestellte darüber nachdenken, möglicherweise etwas mehr Gehalt zu verlangen. Er steht für das, was Joseph Stiglitz "Marktfundamentalismus" nennt. Doch jetzt blättert der Lack. Der Dollar sieht gar nicht doll aus, er fällt und fällt. Das tut er seit langem, hat seit 1960 gegenüber D-Mark/Euro und Yen etwa zwei Drittel seines Wertes verloren. Aber das Tempo zieht enorm an. Allein seit Mitte Oktober schreibt der Dollar gegenüber großen Währungen ein Minus von sieben Prozent. Es knirscht gewaltig im US-Finanz-Gebälk. Die ganze Architektur wirkt bei genauerem Hinsehen recht gewagt. Das Land importiert satte 50 Prozent mehr als es exportiert. Die Regierung leiht sich unerhörte Summen, um die Waffen für ihren Weltmachtswahnsinn zu bezahlen. Die OECD prophezeit, bis 2006 werde das Staatsdefizit der USA auf 825 Milliarden Dollar klettern. Das Volk verbrät derweil auf Pump weitere Milliarden in den Shopping-Malls. Die Sparquote steht bei minimalen 2 Promille, sagen wir es ruhig klar: bei Null. Da staunt der Laie, ihm wird beinahe ein bisschen schwindelig. Denn das ganze System funktioniert nur so lange, wie ständig frisches Kapital aus aller Welt gen Nordamerika strömt. Die USA brauchen einen Zufluss von an die 2 Milliarden Dollar täglich. Die Nation ist ein Kapital-Junkie. Gebt uns Stoff, schreien ihre Marketender, kauft Euch ein in den amerikanischen Traum, in unsere supergeile Turbo-Geldmaschine. Wir sind die Größten, unsere Wirtschaft ist Las Vegas, bei uns gewinnen Sie jedes Mal, wenn Sie den Hebel der Slot Machine ziehen. Wer die Leitwährung der Welt druckt, hat viel Freiraum. Die Amerikaner, grummelte schon Charles de Gaulle, könnten sich bei anderen Ländern gebührenfrei verschulden. Sie dürfen "Schecks schreiben, die nie eingelöst werden", erklärt mir mein Lieblingsmagazin, der britische "Economist". Das Blatt ist stockkonservativ, gerade wenn es ums Wirtschaften geht. Aber es fürchtet die Fakten nicht. Und kann sich königlich darüber amüsieren, dass die USA mittlerweile die gesamten Ersparnisse der restlichen Welt wegsaugen, während US-Führer dieser Welt gleichzeitig erklären: Wenn ihr nicht so viel sparen und mehr konsumieren würdet, gäbe es gar kein Problem. Noch strömt das Kapital. Vor allem das fleißige Asien schmeißt Unsummen ins schwarze Schuldenloch. Die Logik: Das hält die eigenen Währungen unten gut für den eigenen Export und auch die Zinsen in den USA niedrig, was dort zu erhöhtem Konsum führt, was wiederum Asiens Export beflügelt. So hocken sie auf Abermilliarden an Devisenreserven: Japan (817 Milliarden Dollar), China (etwa 600), Taiwan (235) und Südkorea (193). Und sind wie gefesselt. Sobald sie ihre Dollar-Monokultur zu diversifizieren suchen, mit mehr Euros oder gar Fränkli, kreieren sie genau das Problem, dem sie vorbauen wollen: Das Vertrauen in den Dollar bröselt, der Billionenberg, auf dem sie sitzen, sackt unter ihnen weg. Welch ein Riesenspiel. Gebannt lesen wir etwa vom Tokioter Finanzbeamten Masatsugu Asakawa, der US-Bonds im Werte von 720 Milliarden Dollar verwaltet. Ein nervenzermürbender Job. Er hat ein Gerät neben dem Bett, dass piept, wenn sich der Wert des Dollar zu stark bewegt. Mister Asakawa hat in letzter Zeit nicht allzu ruhig geschlafen. Aber seine Frau, sagt er, sei "glücklicherweise sehr verständnisvoll". Das ist das Schlimme an der Finanzwelt: Sie ist ein Synonym für schlechten Schlaf. Voller Ungewissheiten. Weil die Ökonomie letztlich nur eine Hilfsdisziplin der Astrologie ist. [1] Selbst Orakel Greenspan spricht plötzlich Worte, die den Brokern Unterarmnässe bescheren. Bei dem aktuellen Defizit, murmelte er neulich, könnte die Welt irgendwann "at some point" ihren "Appetit" auf den Dollar verlieren. Huhu, da gruselt es den Devisenhändler. Wenn es soweit ist, werden die Gläubigen ihn verfluchen, sein Denkmal stürzen und sein Bild verbrennen. Götter fallen furchtbar tief.
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