TOM SCHIMMECKs ARCHIV
2006

Gute, Böse, Egomanen

Das seltsame Comeback des Altkanzlers Gerhard Schröder.

von Tom Schimmeck

D
ie “7 Zwerge “ laufen derzeit in der Lichtburg zu Essen, im größten Kinosaal Deutschlands, und “Deutschland, ein Sommermärchen”. Heute, nur heute abend läuft auch Gerhard Schröder. Der Saal ist voll.

Zwei hellrote Sessel stehen vor dem riesigen dunkelroten Vorhang. Er sitzt ganz locker da. Satt, souverän und wohlgelaunt wie üblich. Wie er denn angesprochen werden wolle, fragt ihn sein Freund, Medienmann Manfred Bissinger, der den Conferencier gibt, vielleicht als “Herr Altbundeskanzler”? Schröder zieht den Lächelmund kraus, schlägt spöttelnd “Onkel Gerd” vor.

Binnen Minuten ist klar, warum dieser Schröder Kanzler war. Weil er es schafft, diese sehr spezielle Schwingung herzustellen, einen fast verschworenen Gleichklang mit dem Publikum. Da kommt wohliges Einvernehmen auf. Die Leute lauschen, sie lachen, sie fühlen sich irgendwie wohl. Manche mögen alles falsch finden, was dieser Mann je getrieben hat, ihn richtig satt haben. Aber man kann ihm einfach nichts wirklich übel nehmen, will ihn nochmal haben, für einen Abend. Und sei es nur, um sich gepflegt zu ärgern über den verdammten Schau-Macho Schröder. Am Ende drängt eine lange Schlange nach einem signierten Werk.

“Entscheidungen” heißt das Erinnerungs-Buch. Das Marketing ist grandios. “Bild” und “Spiegel” dürfen vorwegtrompeten, auf dem ersten Fernsehkanal laden Beckmann, Christiansen und Co. “Zeit”-Herausgeber und andere Titanen des Zeitungswesens stehen in allen großen Städten zum Bühnengang bereit. Vergleiche zu Bismarck und Willy Brandt werden gezogen. Aus denen das Werk allerdings recht jämmerlich hervorgeht. Denn auf den über 500 Seiten findet sich verblüffend wenig Fleisch. Kaum intime Hinterzimmer-Details, keine großpolitische Enthüllungen. Schröder erzählt so vor sich hin, sehr zurückgenommen, oft blutarm, blass, geradezu simpel. Manchmal will sanftes Pathos ein Gefühl von Bedeutungsschwere erzeugen. Die Substanz ist dünn, die Schow umso bombastischer. Typisch Schröder?

Ein wenig immerhin tut sich die kleine große Welt des Gerhard Schröder auf: Der Alltag auf der Kommandobrücke. Mit den Kumpels, erprobten Mitmischern, deren Loyalität außer Zweifel steht. Und, allüberall, Ehefrau Doris. Bush redet mit Gott, Schröder mit Doris. Sogar den Namen "Agenda 2010" hat sie erfunden.

Doch warum so schnell, schon nach einem Jahr? “Ich wollte meine Sicht der Dinge darstellen”, sagt der Ex leutselig. Einen “Beitrag zur Deutung” leisten. War es nicht eher Angst, zu schnell vergessen zu werden? Schröder grinst. Gar die alte Gier nach dem süssen Gift der Medien? Na das, kontert Schröder, der talentierte Medienjongleur, habe er “eher bitter erlebt”.

Die Rolle des Elder Statesman passt noch nicht recht. Schröder im Sessel, mit Lesebrille, die Beine überschlagend, Memoiren vortragend, das ist eine neue Erfahrung. Auch für ihn. Aber er müht sich. Liest mit sonorer Stimme, erzählt vom Besuch am väterlichen Soldatengrab in Rumänien, vom treuen Partner Joschka und der Aussicht aus seiner kleinen Dachkammer im Kanzleramt – “den nächtlichen Berliner Himmel betrachtend”. Immer wieder bricht er Lanzen für seinen Freund Putin: “Putin denkt abendländisch.” Der gute Putin (“Ich schätze ihn, ich achte ihn.”) kommt immer, ist fast schon sein Lieblingsthema. Russland kenne keine Demokratie, doziert Schröder, Putin reogrganisiere die “Staatlichkeit”. Die Gleichschaltung der Medien? Habe er bei  seinem Wahlkampf in deutschen TV auch erlebt, kontert er nassforsch. Und der Fall Khodorkowskij? "Steuersünder schicken wir auch in den Knast”, sagt Schröder. “Sibirien haben wir aber nicht zur Verfügung."

In eigener Sache ist er weniger dreist. Baut keine Triumphbögen. Selten riecht es nach Selbstbeweihräucherung. Er habe versucht, “wenig selbstgerecht zu sein”, sagt Schröder. Es genügt ihm, ein bisschen mitzumischen bei der Bildung der eigenen Legende. Mal wieder ein paar gute Auftriitte zu haben. Und dafür noch eine Milllion zu kassieren. Ein Batzen, der sich gewiss wohl fühlt neben den Honoraren des Schweizer Verlages Ringier, für den Schröder Türen im Osten öffnet, der Investmentbank Rothschild und der North European Gas Pipeline Company, die ein ganz großes Rohr durch die Ostsee legen wird und zu 51 Prozent der russischen Gasprom gehört. Schröder gibt hier den Aufsichtsratsboss.

Es ist kurios mit diesem Kanzler. Alles fügt sich schön stimmig. Doch selbst im Rückblick erfährt man nicht, was er eigentlich wollte. Außer Kanzler zu werden. Sein Ideengebäude wirkt wie aus dem Lego-Baukasten. Die Teile wurden oft ohne Erläuterung ausgewechselt. Ein echtes Wohin, ein Sinn, ein Ziel, das größer war als die flotten flachen Slogans von Modernität und Gerechtigkeit, schält sich auch jetzt nicht heraus. Bildung sei wichtig, sagt Schröder. Wie jeder. Auch, dass man sich noch mehr um die Integration der Zuwanderer kümmern müsse. Und dass er eine noch viel ökologischere Politik machen würde als zu rot-grünen Zeiten. Sapperlot.

Nein, dieser Schröder wurde nie für große Entwürfe gewählt. Sondern für seinen Elan. Er hat Inhalt durch Kraft ersetzt, mit Bären-Konstitution. Der Macher konnte eine große Zuversicht erzeugen, dass er alles schon irgendwie packen werde. Weshalb es rundum jede Menge Chaos geben durfte, aber niemals Zeichen von Schwäche beim Chef. Nicht einmal die Haare durften grau werden. Die SPD war Wurst. Es war sein Solo. Wenn wir in vielen Jahren seinen Nachruf schreiben, können wir “Death of a Salesman” drüberschreiben.

Lafontaine, durchaus selbst ein kapitaler Egomane, merkte wohl früh, dass diesem Kanzler fast alles ziemlich schnuppe ist. Und floh. Der saftig-virile Schröder aber hatte genug Energie, immer wieder alle Blicke anzusaugen, weg vom Gehalt seiner Politik; alle Wahrnehmung auf die Person selbst zu zentrieren, die tiefe Nasenwurzelfalte, die Stimme und die große Story, die er nun noch einmal ausgebreitet: Vom armen Kriegswitwenknaben zum Staatslenker. Wobei, sagt Schröder, die Kindheit nicht trist war. Kargheit, sagt er, bedeute “nicht unbedingt Unglück”.

Das klappt noch immer prima. Wie leger er da sitzt, leise frotzelnd. Bald hat er die richtige Raumtemperatur geschaffen. Die Körpersprache bleibt sparsam. Immer ist ein Hauch ironischer Distanz zu spüren. Doch selbst über den verhaßten Lafontaine, zu dem er lange keine Silbe sagte, schreibt Schörder nun, er “habe nie wieder einen so begabten politischen Menschen kennengelernt”.

Die Bösen sind jetzt andere. Die SPD-Linke, verkörpert durch eine "lautstarke Minderheiten in der Fraktion". Vor allem aber ein Häuflein Gewerkschaftsbosse. Der IG-Metall-Chef Jürgen Peters und der Verdi-Boss Frank Bsirske, dei "systematisch auf meinem Sturz hinarbeiteten". Auch der oberste Gewerkschaftsboss Michael Sommer, der "ständig umgefallen" sei. Für einen Schröder gibt es keine Masse, die denken kann. Auch keine Partei. Er ist autoritär strukturiert.

Es gibt es nur Macht. Macht, die mitmacht. Und Macht, die feindlich ist. Also bastelt er eine lächerliche Dolchstoßlegende. “Wenn Schröder tatsächlich aus Bangigkeit vor dem harmlos-kümmerlichen Linksflügelchen der SPD des Jahres 2005 die Kanzlerschaft hingeworfen hat”, kommentiert der Politologe Franz Walter, “dann sollte er es künftig füglich unterlassen, seiner Nachfolgerin im Amt einen Mangel an Führungskraft vorzuwerfen.”

Vielleicht ärgert er sich auch, nach sieben Jahren vorzeitige Neuwahlen vom Zaun gebrochen zu haben. Nein, beteuert der Ex-Kanzler, die herbe SPD-Niederlage 2005 im Kernland Nordrhein-Westfalen habe ihm wirklich den sonst so gesunden Schlaf geraubt. Woraufhin er, eine “unendliche Hängepartie” fürchtend, Zwiesprache gehalten habe mit seinem Zuchtmeister Franz Müntefering, ihn gefragt habe, ob er eine Mehrheit für die “Agenda 2010” allzeit ganz sicher habe? Münte hätte verneint.

Auf der Bühne hakt Bissinger nach. Denkt er nicht doch manchmal: “Scheiße, wär ich doch drangeblieben”? Mit kleinen Kindern im Haus, sage man so etwas nicht, antwortet der doppelte Adoptivvater. Aber “schade” vielleicht. Und kapert nun selbst mit seinen Schwächen die Herzen. Mit einem Augenzwinkern: Ihr wisst, dass ich auch nur ein Mensch bin. Und eigentlich doch ein guter, oder?

Noch einmal geht um die wilde Wahlnacht, wo Angela Merkel knapp gewannn. Und der stürzende Kanzler im deutschen Fernsehen einen rotzigen Rüpel-Auftritt hinlegte. “Suboptimal” sei das gewesen, meint Schröder mokant. Er äfft die Fernsehfritzen nach, die ihm so auf die Galle gingen. Und die Merkel. “Madame hat glänzend gewonnen”, blödelt er. Der ganze Saal lacht, voller Mitgefühl. Siehe da: Auch ein Schröder kennt Schmerz. Also, resümiert er, “wenn wir 0,9 Prozent vor den anderen gelegen hätten, hätten Sie einen sehr kontrollierten Auftritt erlebt”.“

Der Mann ist mit sich im Reinen. Seine Deutung steht: Er fiel in die tückische Zeitlüche zwischen schmerzhaften Beschlüssen und den aus ihnen resultierenden sichtbaren Erfolgen. Ganz einfach. “Natürlich”, würde Schröder sagen, “gar keine Frage”. Mit Wonne wird er die Umfragen studieren: Dass die Deutschen ihn noch immer entscheidungskäftiger, witziger, moderner finden als die Merkel.

Nur “Patentrezepte” habe er nicht, sagt der Ex-Kanzler plötzlich, fast schon kleinlaut. “Vielleicht sitze ich deshalb hier und rede über ein Buch.”


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