TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Sommer 2004

Blasen in Bushland

Texas ist Heimat und Nährboden der Georgs W. Bush. Doch die Cowboy-Kultur ist nur noch Mythos. Die riesigen Metropolen haben andere Sorgen. Und die Weißen werden zur Minderheit. .
 

von Tom Schimmeck

M

üde liegt Midland da, flach, in die Breite gewalzt. Im leblosen Zentrum ein paar größere Bauten – Banken, Büros. Rundum endlose breite Straßen, viel leerer Raum, Block um Block verkleckerte Urbanität. Wer lange fährt, findet sogar einen Buchladen.

Eine typisch texanische Stadt. Doch nicht ganz. Midland hat, und das macht hier viele sehr stolz, zwei US-Präsidenten hervorgebracht, beide hießen George mit Vor- und Bush mit Nachnamen, kamen aus einem recht bescheidenen Holzhaus –  1412 West Ohio Avenue. Das Gebäude wird gerade totalrenoviert, nebenan entsteht ein neues Besucherzentrum. Man erwartet Tausende.

"George W.", schwärmt Sue Brannon, "hat gesagt, er habe alle seine Werte in Midland gelernt: Gott zu lieben, sein Land und seine Familie." Die imposante Dame, seit sechs Jahren Vorsitzende der Republikanischen Partei von Midland County, hat gerade einen frischen Stoß Bumpersticker drucken lassen – Aufkleber für die Stoßstangen der wuchtigen Autos, die man hier fährt, wenn man es geschafft hat. Aufschrift: "Midland, Texas – Bush country".

Für so etwas schreiben ihre wohlhabenden Freunde sofort einen Scheck. "Es gibt einige ziemlich reiche Leute hier", sagt Sue Brannon. Einst war auch Midland nur ein Kuhdorf, ein kleiner Flecken auf einer riesigen, heißen, trockenen Ebene. Auf dem kargen Land rundum muss man große Flächen einzäunen, um ein paar Rinder halten zu können.

Dann kam der Ölboom. Ein Goldrausch, der vor gut einem halben Jahrhunderts auch die Familie Bush anlockte. Seither gibt es hier reiche Freunde, auf die man zählen kann. Das schwarze Goldes machte Midland zur Angestelltenstadt. Hier, ein paar Meilen entfernt vom Gestank der Ölfelder, sammelten sich die weißen Kragen, verwalteten den Boom, schöpften die Sahne ab. Midland wurde zur Republikaner-Bastion. "Als mein Mann und ich 1958 hierher zogen, waren wir 15 Republikaner", erinnert sich Sue Brannon. "Bei der letzten County-Versammlung saßen 500 da. Wir haben hart gearbeitet."

Die Partei kontrolliert längst alle wichtigen Posten. Stolzer noch ist Sue auf den nationalen Polit-Output der kleinen Ölstand: Neben dem Bush-Clan, der die Spitze der CIA und die Gouverneurssessel von Texas und Florida eroberte und, als Vizepräsident und Präsident, nun bald 16 Jahre Dienst im Weißen Haus schob, stammt auch Don Evans aus Midland, ein "Pioneer" – so heißen die frühen Förderer des Bush-Clans, jetzt US-Wirtschaftsminister. Sowie Tommy Franks, Oberkommandeur der US-Streitkräfte im Irak. "Tommy", sagt die Witwe Brannon, und spricht den Namen fast gurrend aus, "Tommy hat uns erklärt, was wir alles Gutes tun im Irak und dass wir mindestens noch fünf Jahre bleiben müssen."

Tommy, so hört man, spricht gerne vor dem republikanischen Frauenclub. Die Damen haben neulich auf sein Bitten hin gespendet, für ein Denkmal in Fort Hood, zu Ehren der Irak-Gefallenen. Im Nun kamen 10000 Dollar zusammen. Eine Delegation der Midlander Gönnerinnen reiste zur Einweihung. Sue Brannon war begeistert von der Zeremonie: "Die Soldaten sind alle sehr stolz zu dienen."

Das Bild wandelt sich in den Malls der Metropolen – Einkaufszentren, wo die Luft kühler und die Sonderangebote üppig sind. In der River Center Mall von San Antonio etwa, wo sich am Wochenende tausende Soldaten und ihre Familien verlustieren, denn rund um San Antonio sind etliche Militärstützpunkte. Man findet junge Männer voller Vorfreude, demnächst kämpfen zu dürfen, am besten im Irak. Schon um das Feuergefecht, das sie hier in der Spielhalle proben, einmal live zu erleben.

Doch viele sind ambivalent, sogar offen ablehnend, in Angst vor dem Tod in einem "sinnlosen Krieg". Er werde Bush abwählen, sagt ein Soldat auf Heimaturlaub. "Der Dummkopf ist doch far nicht wählbar", fällt seine junge Frau ein, den Kinderwagen schaukelnd. "Der wäre ja fast an einer Bretzel erstickt." Präsident Bush, das weiß jeder US-Amerikaner, hatte sich im Januar 2002 beim Betrachten einer Football-Übertragung im TV an einer Bretzel verschluckt und war ohnmächtig von der Couch gesunken.

In vielen Malls in Texas, vor allem in ärmeren Gegenden, finden sich zwischen Geschäften, Fastfood-Läden und Kinos die Rekrutierungsbüros von Army, Navy und Airforce. Bunte Prospekte locken mit Geld und Abenteuern, Ausbildungschancen  und Bonussen aller Art. Das Geschäft wirkt derzeit dennoch eher zäh. "Bewerben", klagt ein gelangweilter Recruiter in seinem leeren Laden, "tun sich nur die, die nicht qualifiziert sind. Was, in aller Härte, bedeutet: Zu dumm und/oder zu dick.

Aber davon weiß Sue Brannon nichts. Ihr Midland, weit abseits im Westen gelegen, hält den Zweifel gut im Zaun. In ihrem Büro hängt ein altes Kinderfoto vom Knaben George W. , in Jeans, T-Shirt und Turnschuhen vor einer dieser Ölpumpen, wie sie überall rund um Midland stehen, unablässig auf und ab zischend. Papa hat damit viel Geld gemacht. George W. Bush, der nach Midland zurückkehrte, um es ihm gleich zu tun, war weniger erfolgreich, wurde zum Spezialisten für das Bohren trockener Löcher, spotten die Experten. Aber es waren immer genug reiche Freunde da, um trotzdem nicht abzustürzen.

Wen interessiert das noch? Der Mann mag Probleme beim Kauen und beim Ölpumpen haben, und selbst Fans gestehen sofort ein, dass auch seine Syntax noch entwicklungsfähig ist. Aber George Walker Bush ist der mächtigste Mann im Staate. Texas war sein Sprungbrett, bleibt seine Basis. Die Geldgeber von Bushs "Arbusto Energy" gehören noch heute zum "A Team" des Präsidenten. In diesem Bundesstaat, einst von Demokraten beherrscht, regieren Republikaner so souverän, dass der Wahlkampf weitgehend entfällt.

Die Bushs sind überall. Im Dorf Crawford etwa, wo George W. Bush jetzt seine Ranch hat, nicht weit von Waco auf dem George W. Bush Parkway. Crawford vermarktet sich als "westliches Weißes Haus", mehrere Läden bieten Bush-Devotionalien feil, Puppen, Mützen und anderen Tand. Selbst an der Tankstelle hängen neben Motoröl, Rattengift und Pepsi Bush-Cheney-T-Shirts. Neuerdings gibt es auch ein Hemd mit der Aufschrift Michael Moore – dick durchgestrichen.

Oder in College Station, wo sich Bush senior ein wuchtiges Denkmal gesetzt hat, am Rande der Texas A&M University. Der Barbara Bush Drive windet sich durch viel Rasen zu einem Marmorungetüm mit der Aufschrift "George Bush Presidential Library and Museum". Das Museum huldigt der Bush-Vita, malt sie in den schönsten Farben. Der Aufwand ist enorm, Teile der Air Force One sind nachgebaut, viel Garderobe der First Lady ist ausgestellt. Draußen steht ein gewaltiges Monument – Pferde, die durch eine zerborstene Berliner Mauer stürmen. Bush und Freunde haben alles bezahlt – gekaufte Geschichtsschreibung.

Texas ist eigen. Als einziger US-Bundesstaat war Texas einst unabhängige Republik. Man sieht die Texasfahne mit dem einzelnen Stern so häufig wie die US-Fahne. Beide hängen überall. Selbst Gebrauchtwagenhändler schmücken ihre Ware damit.

Patriotismus ist hier Pflicht. Nur die Intensität schwankt. Dwight, ein fliegender Händler, sitzt an einer Kreuzung in Ost-Texas vor hundert flatternden Fahnen. Er hat auch Hakenkreuz und die SS-Fahne im Angebot. "Aber auch die von Israel", sagt er schnell. Dazu Unmengen Südstaaten-Banner. Dwight ist Texaner aus Passion, würde den Bürgerkrieg am liebsten noch einmal schlagen. Bush ist für ihn ein Verräter, fast ein Kommunist. "Aber solange wir unsere Waffen haben", knurrt er, "wird es nicht zum Äußersten kommen."

Wichtigste Zutat aber ist die Gottesfurcht. Nein, nicht in der liberalen Hauptstadt Austin, die an manchen Ecken wie San Francisco wirkt. Aber in gestrengen Städten wie Midland, wo sich Kirche an Kirche reiht und gleich fünf christliche Erbauungssender aus dem Radio klingen, mit Predigten, Jesus-Pop, Bibel-Verschenkaktionen und Spendenaufrufen ("1oo Dollar, hallelujah").

Texas bleibt hart. In manchem Schulbezirk gibt es noch die Prügelstrafe. Vor achtzig Jahren wurden Schwarze hier öffentlich stranguliert. Die Weißen genossen das Spektakel en famille, verschickten Postkarten mit Bildern der Gehängten. Erst 1924 verschwand das Töten hinter den Mauern von "The Walls", dem Hauptknast des Gefängnisstädtchens Huntsville, einem großen Areal mitten im Zentrum, umrahmt von gewaltigen Backsteinmauern mit Wachtürmen. Nebenan sind ein paar Läden, ein Schuhgeschäft, ein kleines Kreditbüro für Kautionen und das Gericht von Walker County. Hingerichtet wird immer pünktlich um 18 Uhr. "An Exekutionstagen", erzählt eine junge Helferin in der Baptistenkirche nebenan, "backen wir immer Kekse für die Wärter, weil das schon sehr stressig ist."

Bis 1982 war ein elektrischer Stuhl in Betrieb, den sie liebevoll "Old Sparky" nennen und im Gefängnismuseum herzeigen. Jetzt wird per Giftspritze getötet. Der Tatendrang ist ungebrochen: In den vier Jahrzehnten bis 1964 wurden 361 Menschen hingerichtet. Allein in den sechs Amtsjahren des Gouverneurs George W. Bush waren es 152. Im Todestrakt, der Polunsky Unit im nahen Livingston, warten etwa 400 Männer auf ihren Hinrichtung.

Dead or alive. Texas liebt das Cowboy-Klischee. In Bandera etwa, im Hügelland westlich von San Antonio, lebt man noch hart am Mythos, mit Saloons, Grillfleisch und Countrymusik. Von weit her kommen Touristen, um bei Arkey Blues das Tanzbein zu schwingen, im "Silverdollar", einem schummrigen Kellerlokal voller Wildwest-Symbole – Stiefel, Hüte, Sattel – an den Wänden. Vom Flipperautomaten grüßt großbusig Dolly Parton. Wenn Arkey aufspielt, schieben knochige Rentnerinnen und fleischige Gefühlscowboys durch die Sägespäne auf dem Steinboden.

"Das Leben ist zu kurz, um in Eile zu geraten", sagt Arkey am nächsten Morgen . "Ein echter Cowboy kümmert sich um seine Kühe, repariert die Zäune, tanzt nachts mit hübschen Ladys, hat einen Pickup Truck und spielt manchmal Gitarre." So einfach ist das. Politik interessiert ihn nicht. Er findet Bush "in Ordnung" und "Old Clinton" noch ein bisschen besser – weil der Saxophon spielt. Wenn er wählen geht, sagt Arkey "werfe ich meistens eine Münze." Nur der Irak-Krieg gefällt auch ihm nicht: "Wir sollten da weg. Und vielleicht Clinton hinschicken, ein bisschen Saxophon spielen."

"Bandera gilt als recht wilder Ort", meint Polizeichef Shane Merritt[1], der hier seit 14 Jahren für Ordnung sorgt. Neben Trunkenheit und Schlägereien füllen diverse Diebstahls-Fälle seine Zellen. "Aber wir halten den Deckel drauf", meint Merritt entschlossen. Vor zwei Jahren wurde sogar ein indianischer Schrumpfkopf aus dem Museum gestohlen. Man fand ihm wieder, am Straßenrand, in einer Plastiktüte.

Klein-Bandera will Wildwest-Gefühl konservieren. Doch es ist nur ein Abklatsch, voller Zapfhähne und Sentimentalitäten. Das riesige Texas, fast 17 mal so groß wie die Schweiz[2], ist längst Meilen weiter. Dallas, Houston und San Antonio wachsen zu gewaltigen Metropolen heran, dominiert von Business und Hightech. Der Bevölkerungs-Mix ändert sich radikal. Bald sind die Weißen in der Minderheit, Mexikaner und Schwarze zusammen die Mehrheit.

Bei Wahlen spürt man es noch nicht. Wählen geht vor allem die weiße ältere Mittelschicht. Die Jugend, die Armen und die Minderheiten, sagen die Wahlforscher, bleiben den Wahlurnen fern, sind desinteressiert, desillusioniert oder zynisch. Viele Mexikaner leben ohnehin illegal hier, oder als "resident alien" ohne Wahlrecht. So bleibt die Mehrheit der Republikaner vorerst unangefochten.

Doch die Dynamik vor allem der "Hispanics" aus Mexiko und Südamerika ist unübersehbar. Ihr Anteil an der texanischen Bevölkerung steigt schnell – dank Zuwanderung wie Kinderreichtum. Sie sind ideale US-Neubürger, halten den amerikanischen Traum hoch, die Grundüberzeugung, dass jeder seines Glückes Schmied ist und es mit Fleiß und Wagemut weit bringen kann. So schuften sie überall emsig - auf den Farmen, im Straßenbau, in den Fabriken und Schnellrestaurants.

Wie José Renteria, 36, ein drahtiger Mexikaner, seit fünf Jahren in den Ölfeldern von Midland, Aks Arbeiter bei Westex, einer Dienstleistungs-Firma, die mit Bohrern und Pumpen hantiert. Es ist eine gefährliche Arbeit, bis zu 1500 Meter tief müssen die Männer die Gestänge mit schwerem Gerät in die Erde drillen. An die 60 Stunden arbeitet er jeden Woche auf den brüllend heißen, schattenlosen Ölfeldern. Aus den Löchern steigt faulig stinkender Schwefelwasserstoff, der tödlich sein kann.

Es ist "ein bisschen besser als Mexiko", sagt der scheue Mann, eine "ganz normale Arbeit". Politik interessiert Renteria "nicht wirklich", er will "nur vorwärts kommen", seiner Frau und seinen drei Kindern bald mehr bieten. Westex zahlt ihm 9,50 Dollar die Stunde, das gilt als guter Lohn. Die Kollegen sind überwiegend Mexikaner, auch die Aufseher sind oft Latinos. "Bei uns sind 96 Prozent spanischsprachig", sagt der Supervisor, selbst mexikanischer Herkunft. "Da muss man schon beide Sprachen können." Die weißen Amerikaner machten lieber "saubere Arbeit", meint er lachend. Und hätten zugleich Angst, immer mehr ins Abseits zu geraten.

Nicht nur sie. Auch unter Schwarzen zeigen sich Ressentiments. Als in Dallas im letzten Herbst der aus dem Süden stammende City Manager den schwarzen Polizeichef feuerte, strömten schwarze Demonstranten vor sein Büro, und beschimpften ihn als "Wetback" – ein höchst abschätziger Ausdruck für illegale Immigranten aus Mexiko, die just aus dem Rio Grande aufgetaucht sind, mit noch feuchtem Rücken.

"Die Latinos und die Schwarzen kämpfen hier um die Krümel", meint Jesse Diaz, Hausmakler und Latino-Aktivist im Südosten von Dallas. "Und die weiße Ablehnung wächst, weil sie das Gefühl haben, wir übernehmen."

Denn selbst in Dallas, weit im Norden gelegen, sind die Weißen schon Minderheit. Ganze Viertel sind hispanisiert – bunter, quirliger, katholischer geworden. Spanisch verdrängt Englisch. Im Viertel von Jesse Diaz, einer Gegend mit dem schönfärberischen Namen "Pleasant Grove", waren beim letzten Zensus anno 2000 schon 53 Prozent Latino, inzwischen sind es gewiss deutlich mehr.

Die Familien leben von 300 bis 500 Dollar die Woche, von der Hand in den Mund. "Aber sie kaufen Häuser", weiß Makler Diaz, kleine bescheidene Häuser, die sie mühsam abbezahlen. Für die vielen neuen Kunden entstehen Geschäfte, Werkstätten, Restaurants. So wächst ein neuer Mittelstand heran. "Es ist ein wunderbares Land", sagt Diaz. "Das ist doch der amerikanische Traum."

Auch die großen Firmen sind glücklich über so viel billige Arbeitskraft. Industriearbeit wird immer schlechter bezahlt, viele Arbeitsplätze sind über die Grenze gen Mexiko verschwunden. Und von dort aus weitergewandert, in fernere, noch billigere Länder. Gewinner und Verlierer driften auseinander, immer größer wird der Abstand zwischen Arm und Reich, immer atemraubender die Kontraste in den Städten. In Texas sind chice, fein begrünte In-Quartiere mit edlen Stadtvillen und Nobelboutiquen oft nur wenige Blocks von düsteren Ruinen entfernt, in denen Elend, Verfall, Suff und Drogensucht regieren.

"Es wird immer härter und härter und härter", meint Dally Willis, 84, ein Demokrat und Gewerkschafter aus Midland, der schon Roosevelt gewählt hat. "Gute Jobs sind rar geworden. Entweder ist man richtig reich oder man verdient weniger als neun Dollar die Stunde". Wer in die Gewerkschaft will, fliegt raus.

"Unsinn", widerspricht Republikanerin Brannon. "Wenn einen das Glück verlässt und man ganz unten ist, gibt es immer noch jede Menge Wohlfahrsorganisationen."

Unten im Süden, am Rio Grande, ist der Wandel noch augenfälliger. Die Grenzstadt Laredo ist der emsigste Güterumschlagplatz an der US-Südgrenze, über ihre Brücken rollen jährlich Millionen Lastwagen. Laredo ist die ärmste Stadt der USA, Transitstation für Hoffnungsfrohe, die eine bessere Zukunft weiter nördlich suchen. Im Zentrum reihen sich Ramschläden aneinander, mit Hongkong-Ware für 99 Cent. Eines der ersten Häuser an der Brücke ist ein Waffenhändler. Auf dem Geschäft steht in riesigen Lettern: "God bless America!"

Niemand weiß, wie viele illegal kommen. Die Grenze zu Mexiko zieht sich endlos, allein das texanische Teilstück über 2000 Kilometer. Jetzt im Sommer ist der Rio Grande bei Laredo ein flaches Gewässer. Routinierte Grenzgänger tragen trockene Kleidung in einer Plastiktüte auf dem Kopf, ziehen sich im Schutz der Böschung um. Am Ufer findet man überall Tüten und Kleidungsstücke. Es gibt, erzählt ein erfahrender Grenzbeamter, sogar Mexikaner, die zur Arbeit nach Laredo über den Fluss kommen und abends nach Mexiko heimkehren. Einmal habe er am Morgen eine Gruppe Frauen erwischt. Als er sie kontrollieren wollte, schimpften sie: "Lass das, wir kommen zu spät zur Arbeit!"

Die größten Gefahren lauern hinter dem Fluss. Das Ufer ist mit Sensoren und Kameras gespickt, überall halten Beamte der Border Patrol Ausschau. Die Strecken sind weit. Viele Illegale laufen tagelang durch die steinige, staubige, mit Kakteen und dornigen Büschen bewachsene Landschaft. Wer nicht genug Vorräte hat, verdurstet hier.

Die Jahresstatistik, die bis September läuft, verzeichnet aktuell 224 Todesopfer. In der Vorjahresperiode waren es gar 340 Tote. Sie ertrinken, verdursten, oder ersticken in LKW. Hilfsorganisationen stellen Wassertanks auf und suchen mit Jeeps zu helfen. Von El Paso aus fliegt neuerdings ein Flugzeug über die dürren Weiten von Texas und Arizona, um nach Verdurstenden Ausschau zu halten und notfalls Trinkbehälter an kleinen Fallschirmen abzuwerfen und auf Handzeichen Hilfe zu holen. Ein erfolgreicher Geschäftsmann hat die kleine Hilfsorganisation gegründet. Er kam einst an der Hand von Mama als Illegaler in die USA.

Es gibt auch weniger freundliche Zeitgenossen, etwa die Rechtsradikalen von Ranch Rescue, die Farmern helfen, Illegale wieder zurücktreiben oder dem Grenzschutz zu übergeben. Sie fühlen sich als Frontmänner des Heimatschutzes.

Wer erwischt wird, endet im "Bubble" der Grenzschutzstation. An der Außenseite des großen, halbrunden Raumes, befinden sich Zellen mit großen Glasfenstern, in denen man Gefangene dösen und schlafen sieht, viele Frauen und Kinder darunter. Zur Erfassung müssen die IIlegalen auf einem schmalen Metallgestänge Platz nehmen, einem Beamten gegenüber, der ein Computerterminal vor sich hat. Er nimmt ihre Daten auf, erfasst elektronisch das Gesicht und sämtliche Fingerabdrücke. Die Informationen werden mit etlichen Datenbanken abgeglichen, sodann entschieden, ob die Flüchtlinge an die Grenze gebracht oder der Justiz übergeben und formell inhaftiert werden.

Eine junge Brasilianerin sitzt mit ihrem Sohn auf der Stange, ein Stück weiter wartet eine ganze Gruppe staubbedeckter Männer, die gerade unweit von Laredo aufgegriffen wurde. Ganz hinten wird eine komplette Familie abgelichtet. Schon werden neue Flüchtlinge hereingeführt, die mit einer kleinen Tüte voller Habseligkeiten ein neues, großes Leben starten wollten. Im "Bubble" platzt jeden Tag der amerikanische Traum.



HomepageLeitseite

Mind your step Copyright: Tom Schimmeck
Jede Weiterverwendung von Texten und Bildern auf dieser Website bedarf der Genehmigung