„Richtige Kriegsberichte, zack“
„Festung“-Autor Lothar-Günther Buchheim über seine Rolle im Zweiten Weltkrieg.
Dieses Interview wurde im Dezember 1995 mit L.G. Buchheim geführt. Er hat dann, wie es seine Art war, die Veröffentlichung unter großer Rauchentwicklung torpediert. Der Text ist nie erschienen.
Die Woche Herr Buchheim, Sie waren „Kriegsberichter“ - konnte man das sein, ohne Teil des Apparats zu werden?
Lothar-Günther Buchheim Ach, das ist doch eine sehr verspätete Frage. Hemingway war auch Kriegsberichter...
Die Woche ...aber auf der richtigen Seite.
Buchheim Das wußten sie doch damals nicht. Ich fühlte mich als Autor, Fotograf und alles mögliche, ich war erlebnishungrig, das ist doch ganz klar. Ich sagte mir damals - und das steht immer wieder in der „Festung“: Die Guten ins Kröpfchen, die Schlechten ins Töpfchen.
Die Woche Man wird Kriegsberichter ja nicht durch das Absingen antifaschistischer Lieder.
Buchheim Aber man wird es, wenn man ein Wunderkind ist.
Die Woche Donnerwetter!
Buchheim Ja, ich hatte das beklemmende Los eines Wunderkindes. Über mich ist schon, als ich 14 Jahre alt war, die erste Monographie erschienen. Ich habe gezeichnet und abends manchmal, wenn die Herren Redakteure zu faul waren, für drei Chemnitzer Tageszeitung zugleich die blödesten Sachen schreiben müssen.
Die Woche Und die Nazis wollten dieses Talent für ihre Zwecke nutzen?
Buchheim Sie müssen eines auseinanderkriegen: Wir nannten uns mit großer Absicht Marinekriegsberichter und nicht Marinepropagandakompanie. Mein Verein war eine Gliederung der Wehrmacht - da können Sie ebensogut sagen: Jeder Pionier hat für die Nazis gearbeitet, jedes Pferd, das eine Haubitze gezogen hat. Man kann da nicht an der heutigen Elle messen. Für mich ist das alles völlig pervers. Dieser junge Mensch, der damals auf den Namen Buchheim hörte, hat doch nun mit mir gar nichts zu tun.
Die Woche Waren der in der HJ, der Hitlerjugend?
Buchheim Eine absolute Fälschung, ich war nie in der Hitlerjugend.
Die Woche Aber es gibt diese Zeichnung, die mit „HJ...“
Buchheim Da steht sogar „HJ-Führer“ drunter. Ich war Ringpfadfinder, und die Pfadfinder sind zwangsweise geschlossen in das Deutsche Jungvolk überführt worden. Ich war Pimpf, aber kein Hitlerjunge und auch kein HJ-Führer.
Die Woche Ihre Zeichnungen von jungen Soldaten kommen heute ziemlich schauderhaft daher.
Buchheim Was soll denn ein Kriegsberichter anders zeichnen als Soldaten und den Krieg? Ich konnte doch nun keine Weiberärsche zeichnen. In der „Festung“ steht von mir auch der Satz, daß es für ein Mannsbild keine bessere Kopfbekleidung gibt als den Stahlhelm. Römische Helme sind manchmal auch sehr schön, aber der deutsche Stahlhelm macht noch aus jedem blöden Gesicht ein markantes. Das hat natürlich auch eine Fatalität. Aber ich stehe zu dem Buchheim, der vor 50 Jahren einen Stahlhelm eine hervorragende Form fand. Und sich dabei die Zähne ausgebissen hat, denn ein Stahlhelm ist unendlich schwer zu zeichnen.
Die Woche Einige Ihrer Werke waren unlängst im ARD-“Kulturreport“ zu sehen. Sie schmücken einen „NS-Schulungsbrief“ oder das Naziblatt „Das Reich“.
Buchheim Das Material, das die da vorgezeigt haben, habe ich zu 90 Prozent nie gesehen, ich habe zum Beispiel nie einen „NS-Schulungsbrief“ in der Hand gehabt. Die haben offenbar eine ganze Meute angestellt, um irgendwo Sachen rauszusuchen. Wenn das alles ist, was sie gefunden haben, stehe ich ganz glänzend da: Nicht ein einziges Wort über den Adolf, nicht ein einziges Wort Nazismus. Da möchte ich mal einen zweiten Kriegsberichter sehen, bei dem nicht ganz andere Dinge im Netz bleiben, wenn man ihn so durchforstet.
Die Woche Der Publizist Matthias Wegner sagt, der Buchheim hätte mit den Wölfen geheult und auch gebellt.
Buchheim Ach, das ist einer meiner Trittbrettfahrer, meine Trittbretter sind ja breit. Der hat mich mal interviewt und ich habe das Interview dann gesperrt.
Die Woche Wieso das?
Buchheim Weil ich soviel Ignoranz, vor allem in dieser Altersklasse, noch nie erlebt habe. Er hat mich insistierend immer wieder gefragt, warum die deutschen Soldaten nicht emigriert sind. Und er hat mir das Interview geschickt, wie es aus der Schreibmaschine kam, vollkommen unbearbeitet, mit falsch geschriebenen Ausdrücken. Da hab ich ihn angerufen und ihn zur Sau gemacht, das muß ich zugeben. Der nennt sich Publizist und ich höre immer nur Pups.
Die Woche Wie standen Sie mit den Wölfen?
Buchheim Ich sage kategorisch: Ich bin nie einer Gliederung der Partei beigetreten. Die Amis haben mich, als sie einmarschierten, hier zum Polizeichef gemacht, weil sie keinen anderen fanden, der unbeleckt war.
Die Woche Aber als Kriegsberichter mußte man doch heucheln? Man konnte ja wohl schlecht schreiben: „Die Soldaten haben Schiß vorm Krepieren und wollen nach Hause...“
Buchheim Man muß zugeben, daß man uns auch zu einem gewissen Grade getäuscht hat. Wir hatten mit dem Propagandaministerium 0,0 zu tun, wir waren eine militärische Einheit. Aber die Texte und die Bilder liefen dann doch zum Teil über das Propagandaministerium oder wurden dort kontrolliert.
Die Woche Ihre Frontberichte waren sehr erfolgreich.
Buchheim Ich war in einer Horde von Kriegsberichtern, die fast alle Nazikriecher waren. Daß meine Sachen so enorm gedruckt wurden, lag ganz einfach daran, daß in den größeren Redaktionen nicht nur Nazis saßen, sondern auch Leute, die sich vor der Front drückten oder richtige Anti-Nazis waren. Die mußten über den Krieg etwas bringen und waren heilfroh, wenn sie etwas ohne Weltanschauung und ohne ein Wort Nazismus in die Hände bekamen. Also richtige Kriegsberichte, zack.
Die Woche Ist denn das überhaupt zu trennen?
Buchheim Selbstverständlich. Ich kann mit Stolz darauf verweisen, daß bei mir kein Quatsch steht. Arien auf den Führer und die Nazis gab’s bei mir nicht. Da ist gar kein solches Meritum. Ich kam ja aus ganz anderen Kreisen. Meine Mutter war Malerin und eine wilde Renegatin. SA-Leute? Da konnten wir doch nur lachen. Das war eine Ganovenbande und Horst Wessel war ein Zuhälter, das wußten wir doch alles. Wir lebten in einer Art Boheme, da gab’s keine Nazis.
Die Woche Wie wurden Sie für Ihre Aufgabe präpariert?
Buchheim Ich hatte keine militärische Ausbildung. Die haben mir nicht mal beigebracht, mit welcher Hand ich grüßen muß. Weil sie mich ganz schnell im sogenannten Einsatz haben wollten, wurde ich mit dem Flugzeug nach Frankreich gebracht und war schon in der Nacht an Bord eines Zerstörers. Ich sollte zeichnen. In der Nacht!. Was soll ich da zeichnen? Am Morgen habe ich mir eine primitive Schreibmaschine gegriffen, mich auf die Pier gesetzt und einen Riemen geschrieben. Der wurde von sämtlichen deutschen Zeitungen nachgedruckt. Und weil die Generäle natürlich von Statistiken lebten, sagten sie: Na hoppla, was ist denn jetzt passiert? So wurde ich ganz schnell und absurd zum Star.
Die Woche Waren Sie vom Typ her ein brauchbarer Soldat?
Buchheim Oh ja! Ich war sächsischer Gaumeister im Schwergewichtsringen in meiner Klasse. Das klingt ja wieder blöde, aber: ich war ein hervorragender Soldat, nein, das ist falsch: Ich war sozusagen kein Arschloch. Ich habe von meinen Fähigkeiten als Offizier oder Soldat den geringstmöglichen Gebrauch gemacht. Aber im Zweifelsfall konnten sie mir nicht so leicht an den Wimpern klimpern.
Die Woche Waren Sie politisch?
Buchheim Ach, ganz und gar nicht, dazu hatte ich nun wirklich keine Zeit. Politische Jünglinge im heutigen Sinne gab’s ja auch gar nicht.
Die Woche Woher kam das Faible fürs Militär?
Buchheim Ich war nicht militärisch. Aber ich war voll von Ernst Jünger. Da gab es die Bündische Jugend, Hermann Löns, Hans Grimm und alle möglichen Leute, mit denen man uns vollgestopft hat und mit denen wir uns auch selber vollgestopft haben. Das ist doch heute alles verdammt schwierig. Ich beobachte rückwärts einen Menschen von zwanzig Jahren, der mich hochgradig interessiert. Ich hatte nur Dusel. Zum Glück waren da immer Leute, die sagten: Das geht schief.
Die Woche Hatte der Krieg nicht auch eine Ambivalenz - Grauen und Faszination. Der Männerbund, der Abenteuer?
Buchheim Na klar. Ich war vom U-Boot fasziniert, ist doch gar keine Frage. Bin ich heute noch.
Die Woche Auch vom Krieg?
Buchheim Nein, nicht vom Krieg. Das können Sie so nicht sagen. Da muß man tiefer gehen, um diese Zeit zu verstehen. Mein Mentor war Peter Suhrkamp. Der war bestimmt der größte Pazifist, aber zugleich war er Soldat durch und durch, ein hochdekorierter Stoßtruppführer im Ersten Weltkrieg. Peter Suhrkamp hat vor meine Augen den Chef einer Kulturzeitschrift abgekanzelt, der sich herumdrückte mit Aushalte-Vorträgen beim Arbeitsdienst in Norwegen. Zu dem sagte Peter Suhrkamp: „Sie feiges Schwein.“ Wie lösen Sie das auf?
Die Woche Wie lösen Sie das auf?
Buchheim Ich sage nur: Schildern, schildern, schildern.
Die Woche Sie haben bei Suhrkamp ein Kriegsbuch gemacht, „Jäger im Weltmeer“. Da ist von „stolzer, sieghafter Freude“ die Rede und vom feindlichen Zerstörer, der „in Fetzen fliegt“.
Buchheim Das ist etwas Irres: Zeit meines Lebens werden immer wieder Dinge entdeckt. Zum Beispiel eine Zeichnung von mir in Fort Lauderdale. Die wird dann in der Süddeutschen Zeitung abgebildet: Buchheim hat während des Krieges Marinesoldaten gezeichnet! In jeder meiner Ausstellungen zeige ich sie, in jeder. Man kann sich doch gar nicht mehr outen als in der „Festung“. Wenn einem das auch noch auf Butterbrot geschmiert bekommt, daß man sich outet , find’ ich das deutsch, deutsch, deutsch.
Die Woche Wenn Sie Sich als kunstverständiger Mensch heute diese Bilder anschauen...
Buchheim Hervorragende Zeichnungen, ich stehe ganz und gar dazu.
Die Woche Und die „Jäger im Weltmeer“?
Buchheim Hervorragendes Buch!
Die Woche Aber Sie würden es heute nicht mehr veröffentlicht sehen wollen?
Buchheim Sie werden sich wundern: Ich werde meinen Verleger darum bitten, daß wir’s drucken. Das ist ein gutes Buch, ein Zeitdokument von höchstem Karat. Man muß nur aufpassen, daß das nicht in falsche Hälse kommt, da muß ein neues Vorwort vor.
Die Woche Inklusive dieser pathetischen Frontgesänge?
Buchheim Ja das gehört doch in die Zeit. Ich weiß gar nicht, warum Ihr da manchmal so verklemmt seid. Als ich die Greenpeace-Action gegen die Brent Spar ansah, wie die da mit einer Art Sturmboot um die Insel sausten und ihren Unfug veranstalteten, hab’ ich gedacht: Fehlt nur noch, daß scharf geschossen wird, da würden sie sich erst richtig wohlfühlen. Was soll’s denn? Man darf doch die Natur des Menschen nicht ganz außer acht lassen.
Interview: Tom Schimmeck
Copyright: Tom Schimmeck
Jede Weiterverwendung von Texten und Bildern auf dieser Website bedarf der Genehmigung
|