TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Juni 2000
 

Klein Haider aus Hamburg

Ein rüder Richter geht in die Politik: RONALD BARNABAS SCHILL will als neuer Volkstribun SPD und CDU das Fürchten lehren

E

r hat ein dickes Fell, der Richter Ronald Barnabas Schill. Lokalzeitungen titulieren ihn als “Richter Gnadenlos”, seine Justizkollegen werfen ihm Amtsmissbrauch vor, unter Politikern gilt er als eine Art Pocket-Haider. Und jetzt läuft gegen ihn auch noch ein Verfahren wegen Rechtsbeugung. Doch je mehr dieser Schill die doch angeblich so kühlen hanseatischen Gemüter aufwühlt, desto süßlicher lächelt er.

Schill, ein passionierter Segler, hat es gern ein bisschen böig. Zufrieden sitzt er in Zimmer 292b des Hamburger Ziviljustizgebäudes, einem kargen Dienst-Schlauch mit Blick in den Innenhof, und schaut auf Seekarten von Mittelmeer und Karibik. Gewässer, die er bereist hat, wie er stolz berichtet. Während Schill, noch braun gebrannt vom letzten Törn, seine Sätze spricht, spielt er mit einem Navigationszirkel.

Der Kurs ist klar. Hamburg erlebt das politische Coming-out des Scharfrichters Schill. Der hat ein glasklares Feindbild: die 68er, jene Linken, die “nach ihrem angekündigten Marsch durch die Institutionen an ihren Zielen angekommen sind – in der Staatsanwaltschaft, bei den Richtern und Politikern”. Nur knapp die Hälfte der Hamburger Richter und Staatsanwälte sei sich “nach wie vor ihrer Aufgabe bewusst und ideologisch nicht verblendet”. Durch die anderen sei “ein Umfeld entstanden, in dem die Interessen der rechtschaffenen Bevölkerung massiv mit Füßen getreten werden”.

Befallen von “diesem Gedankengut” – es muss eine Art Epidemie sein – sind in Schills Augen auch Kriminologen, Psychiater, Bewährungshelfer und Therapeuten sowie, berufsbedingt, “alle Soziologen”. Ihre notorische Milde mache alle Abschreckung zunichte und habe nur “die größtmögliche Freiheit für Verbrecher” zum Ziel. “Durch Zuhilfenahme geneigter psychiatrischer Sachverständigen-Gutachten”, schimpft der Richter, “wird plötzlich selbst ein bestialischer Mordfall zu einem Totschlag im minder schweren Fall.” Die Strafjustiz werde so “immer mehr zum wegbrechenden Pfeiler in der Sicherheitsarchitektur des Staates”.

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Lange schon hat er gelärmt gegen die Verweichlichung der Kollegen, besonders der Jugendrichter, dieser “Allianz strafunwilliger Verständnispädagogen”, die er geradezu gefressen hat. Bis es der Justiz zu bunt wurde. “Alle Bemühungen, im Sinne des Mäßigungsgebots auf ihn einzuwirken, sind gescheitert”, konstatierte der Richterverein. Der Richter glaubt, der Verein habe ihn “unter dem Vorwand einer psychischen Erkrankung kaltstellen” wollen.

Seine Vorgesetzten schickten den schimpfenden Schill schließlich über den Platz ins Ziviljustizgebäude. Dort ist er seit Jahresbeginn für Hundebisse, Vertragsbrüche und andere minder spektakuläre Dinge zuständig. Das wurmt ihn gewaltig. In seinem Job als Strafrichter habe er eine “wichtige befriedende und ausgleichende Funktion innerhalb der Gesellschaft gesehen”, doziert Schill. “Das hätte ich gerne bis zu meiner Pensionierung gemacht.”

Schon vor seiner Zwangsversetzung hatte der Richter, dessen zackige Wortmeldungen von der Lokalpresse vervielfältigt worden waren, manch begeisterte Zuschrift bekommen. Nun wurde ein wahrer Strom daraus. Schill holt einen prall gefüllten Ordner aus dem Amtsschrank, in dem all der Jubel, hübsch in Hüllen geordnet, abgeheftet ist, “Bankbelege” steht auf dem Rücken. “Sie sollten wissen, dass die große Masse der gesetzestreuen Bürger auf Ihrer Seite steht”, schreibt ein Fan. Ein anderer vergleicht seine Standfestigkeit mit der “Glaubenstreue der ersten Christen im Rom von Kaiser Nero”. Eine Frau hat eine Puppe gebastelt, die ihm ähnelt. Sogar Gedichte sind eingegangen.

“Das artet schon fast in Personenkult aus”, seufzt Schill, sichtlich geschmeichelt von so viel “Resonanz”. In der U-Bahn und im Supermarkt raunten ihm Menschen oft zu: “Meine Stimme haben Sie!”

Denn Richter Schill hat beschlossen, aus den “weit über 1000 Leuten”, die ihn angeschrieben haben, eine neue Partei zu erschaffen. Im Herbst soll im größten Saal des Congress Centrums die Gründungsversammlung steigen. Unlängst hat sich eine Kerntruppe von gut 30 Leuten getroffen und allerlei Ausschüsse gebildet. Es seien “sehr kompetente Persönlichkeiten” darunter, auch aus der Wirtschaft, sagt Schill, der noch keine Namen nennen will. Der Ausschuss Innere Sicherheit etwa sei mit “sehr vielen Polizeibeamten” bestückt. Er übt schon mal das “Wir” ein, sagt: “Wir werden ...”, “Wir wollen ...”, und: “Wir erwarten zur Partei-Gründung 2000 Leute.”

Schill fühlt sich von einer Welle getragen: Er sei da “so ein bisschen hineingeschliddert”, zumal er eigentlich stets der Auffassung war, Politik sei ein “schmutziges Geschäft”. Nun hat es sich halt ergeben. Ein Quäntchen Rache ist auch dabei: Der Beschluss, räumt er ein, habe sich “verfestigt, als man sich entschlossen hat, mich zu versetzen”. Nun drängten viele Mitstreiter bereits darauf, “die Partei auch bundespolitisch anzugehen”.

Hamburgs etablierte Parteien sehen das Phänomen Schill gar nicht cool. Umfragen geben dem Rambo-Juristen schon jetzt 10 Prozent, 17,1 Prozent würden ihn gern im Stadtparlament agieren sehen. Schill ist kein Philosoph, aber er hat genug Instinkt zu erfassen, wie viel Terrain der softe CDU-Spitzenmann Ole von Beust und der kreuzbrave SPD-Bürgermeister Ortwin Runde einem tüchtigen Volkstribun überlassen. Schon schwadroniert der bekennende Stoiber-Fan von einer “CSU des Nordens”, phantasiert über Koalitionsmodelle mit CDU, FDP und der ausgezehrten Hamburger Statt-Partei. “Wir werden den Senat zum Teufel jagen”, prahlt Schill. “Die bekommen schon mächtig kalte Füße.” Das Innen- und das Justizressort hat er bereits für sich reklamiert. Das Programm ist griffig: Hart strafen, tüchtig abschieben, Penner weg aus den feinen Vierteln.

Vor allem die in Hamburg dominierenden Springer-Zeitungen sind verzückt von der Chance, die zementharten Verhältnisse ein wenig aufzuweichen. Mit dem Sprengkörper Schill lässt sich nicht nur die rot-grüne Regierung attackieren, sondern auch die liberale CDU-Führung piesacken. Warum er etwa von der “Welt am Sonntag” hofiert wird, ist dem Richter ganz klar: “Denen ist die CDU zu linkslastig.”

Der Ton wird derber. Als es in der Nacht zum 1. Mai zu Krawallen im Hamburger Schanzenviertel kam – im Umfeld eines anarchistisch angehauchten Stadtteilzentrums namens “Rote Flora” –, nutzte “Bild” dies für eine japsende Kampagne – so wuchtig wie zu den Wildwest-Zeiten des Revolverblatts. Wasser auf die Mühlen von Schill, der findet, dass ein Ding wie die “Flora” “natürlich abgerissen werden muss”. Dort, urteilt der Richter, “greift die politische Szene der Linksextremisten ineinander mit der kriminellen Drogenszene”. Schuld, schimpft Schill, der aus dem Schanzenviertel stammt, sei eine Politik, die “kriminelle Außenseiter hofiert”. Er ist “Bild” dankbar: “Ich bin froh, dass es eine mediale Kraft gibt, die die Dinge ins rechte Lot rückt.”

Schill zeigt Wirkung. Die CDU, beim Thema “Flora” lange mit auf Deeskalations-Linie, schwenkt um und ruft heiser nach Räumung – ein “schillbedingter Rechtsruck”, konstatiert das “Hamburger Abendblatt”. Die Partei, meint auch der SPD-Innensenator, habe “Schiss vor Schill”.

Dabei glaubte CDU-Aspirant von Beust anfangs, der Richter werde vor allem den Sozis zu schaffen machen. Doch nun zeigt sich die CDU-Basis schier verzückt vom schrillen Schill. Bei CDU-Lokalfürsten kam es derart in Mode, den scharfen Richter zu Vorträgen zu laden, dass CDU-Landeschef Dirk Fischer die Parteifreunde per Rundschreiben anflehte, der “konkurrierenden politischen Kraft” doch bitte schön keine Plattform mehr zu bieten.

Ohne viel Erfolg. Mitte Juni lief der feurige Volljurist vor CDU-Foren beinahe täglich zu voller Form auf. Wenn Schill die Justiz unter dem Ansturm schießender Albaner und dealender Kurden zusammenbrechen lässt, vibrieren prall gefüllte Vereinsheime, Senioren-Unionisten werfen ihre Krücken weg. Schill, angetan von der “enormen Zustimmung”, meint: “Rund 90 Prozent der dort Versammelten sind mit mir einer Meinung.”

Warum geht er nicht gleich in die CDU? “Hier komme ich ohne faule Kompromisse nicht weiter”, winkt Schill ab. Als Führer seiner “Partei Bürgerlicher Interessen” (Arbeitstitel) hofft er auf reichere Ernte. Hinter dem Jubel für ihn stehe schließlich “Leidensdruck”: Die Leute “stellen fest, dass die Stadt zum Hort der Kriminalität wird, dass bei ihnen eingebrochen wird, dass ihre Kinder in der Schule räuberisch erpresst werden, dass geschossen wird auf der Straße”. Armes Hamburg. Wer Schill gründlich gelauscht hat, ist verblüfft, hernach unverletzt das nicht gestohlene Auto zu erreichen.

Ein braun gebrannter Jurist, der mit flotter Zunge Emotionen wecken kann? Der sich als Rächer der Rechtschaffenden höhnend über die Politik stellt? Kennen wir das nicht aus Kärnten? Schill wehrt ab, verweist auf Widerstands-Traditionen in der Familie. “Es ist ganz wesentlich, dass man sich der nationalsozialistischen Verbrechen bewusst ist”, sagt er, will auch genau darauf achten, sich keine “rechtsradikalen Kuckuckseier” ins Nest zu holen. Aber er sagt auch: “Wer den Stammtisch verteufelt, verteufelt das Volk.”

Bis zur Wahl im Herbst 2001 könnte das Schill-Fieber abgekühlt sein. Unlängst wurde ruchbar, dass Schill, der seine Kollegen gern “systematischer Verschleppung” zieh, bei seinem Abgang aus der Strafjustiz 270 offene Fälle zurückließ, die bis ins Jahr 1995 zurückreichten.

Und nun holt ihn die verhasste “Flora” wieder ein. Im Mai 1999 hatte Schill zwei Aktivisten aus deren Umfeld wegen “ungebührlichen Verhaltens” im Gerichtssaal drei Tage Ordnungshaft aufgebrummt – sie hatten bei der Urteilsverkündung nicht aufrecht gestanden. Über die sofort eingelegte Beschwerde soll er erst nach 52 Stunden entschieden haben – 20 Stunden vor Ablauf der Haftzeit also. Just hat das Landgericht vor der Dritten Großen Strafkammer das Hauptverfahren wegen Rechtsbeugung und Freiheitsberaubung gegen den Richter eröffnet. Eine juristische Premiere in der Hansestadt.

Natürlich sieht Schill, der sich “mehr und mehr als eine Art Hoffnungsträger” versteht, auch darin eine “Schmutzkampagne” der 68er. Bei einer Verurteilung würde er seinen Job verlieren, müsste die Parteigründung vielleicht aus der Zelle verfolgen.

Er wettet darauf, dass es nicht so weit kommen wird. Das Ganze sei doch nur “ein Messer ohne Klinge, dem der Griff fehlt”.

***

ZUR PERSON

RONALD B. SCHILL (41) stammt aus bürgerlichem Hause. Zunächst studierte er drei Semester Psychologie. Weil der Bereich “von dem Gedankengut der 68er durchsetzt” war, sattelte er auf Jura um und wurde Strafrichter. Als Hamburger “Richter Gnadenlos” machte er mit harten Urteilen und frechen Sprüchen immer wieder Schlagzeilen. Nun will der strafversetzte Richter eine Law-and-Order-Partei gründen.


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