TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Februar 2008

Ein Land sieht rot

Die Linkspartei wirbelt die Machtverhältnisse nun auch im Westen durcheinander. Die SPD fühlt sich ebenfalls gestärkt, doch es fehlt ihr an Machtoptionen. Denn eine rot-rote Koalition gilt als Tabu – noch jedenfalls

 von Tom Schimmeck

D

ie Börsen zitterten ohnehin schon. Und dann das: „Die Bundesrepublik erlebt einen Linksruck“, bilanzierte ein Ökonom der Schweizer Großbank UBS. „Mit allergrößter Sorge“ sah auch Deutschlands oberster Industriekapitän Jürgen Thumann die Lage der Nation: „Der Linksruck setzt sich fort.“ Schlagzeilen warnten vor fallenden Kursen: „Rote Triumphe könnten Ende der DAX-Rallye einläuten“ – weil die Linken mehr Steuern auf Spitzeneinkommen und Börsengewinne forderten, dazu Mindestlöhne und Arbeitszeitverkürzungen. Dem Land drohten „italienische Verhältnisse“.

Was war geschehen? Ein Umsturz? Nein. Nur ein kleiner Wahlerfolg: Die Linkspartei, bisher nur im Osten Deutschlands spürbar präsent, kann erste Siege im Westen verbuchen. Auch die sieche SPD scheint auf dem Weg der Genesung zu sein. „Es steht noch immer nicht gut um die SPD, gar nicht gut. Es geht ihr aber gut, und zwar von Tag zu Tag besser“, staunt „Welt“-Chefredakteur Thomas Schmid – wie viele missionarische deutsche Konservative einst ein Linksradikaler.

Grund für die große Erregung: zwei regionale Wahlen am 27. Januar – in den Bundesländern Hessen und Niedersachsen. Beide wurden bislang von der CDU beherrscht, in beiden musste sie Stimmenverluste hinnehmen. In Niedersachsen, wo der milde Lächler Christian Wulff (minus 5,8 Prozentpunkte) regiert, kann sie trotzdem weiterregieren.

In Hessen, wo Ministerpräsident Roland Koch einen schrillen Anti-Ausländer-Wahlkampf geführt hatte, ist das Resultat verzwickter: Die CDU (minus 12 Prozentpunkte) liegt nur um 0,1 Prozentpunkte vor der wiedererstarkten SPD. Weder CDU und FDP noch SPD und Grüne können eine Mehrheit bilden. Die Linkspartei bildet das Zünglein an der Waage.

CDU-Kanzlerin Angela Merkel versucht, gute Miene zum labilen Spiel zu machen. Schon ihr eigener „Sieg“ bei der Bundestagswahl 2005 war nur eine Niederlage mit Sternchen gewesen. Später wurde sie dennoch umjubelt. Als Kanzlerin und Parteivorsitzende ist sie derzeit unangefochten. Doch seit Merkel Kanzlerin ist, hat die CDU bei jeder Landtagswahl Stimmen verloren. Immer lauter kommt von rechts die Klage über Merkels „Verrat“. Die einstige Neoliberale, als deutsche Wiedergeburt von Margaret Thatcher gefeiert, gilt vielen inzwischen als schwarze Sozialdemokratin. Auch in der CDU wird inzwischen viel über „Teilhabe“ und „Gerechtigkeit“ geredet.

Das Ende der bürgerlichen Mehrheiten. Das „linksliberale Milieu“

habe wieder Oberwasser, die Jahre des neoliberalen Mainstreams seien vorbei, klagen konservative Kommentatoren. „Die Reformpolitik ist tot“, meint ein Wirtschaftsanalytiker. Schlimmer noch: Nun, da sich

überall in deutschen Parlamenten fünf Parteien etablieren, ist kaum mehr ein Weg zu einer stabilen bürgerlichen Mehrheit erkennbar.

Am Montag vergangener Woche stellte Merkel im CDU-Führungszirkel klar, dass sie keinen marktliberalen

Wahlkampf wie 2005 mehr führen, vielmehr Rücksicht auf die „kleinen Leute“ und Pensionisten nehmen werde. Es habe damals wohl „Vermittlungsprobleme“ gegeben.

Mit dem Absturz von Roland Koch ist zudem eine Schlüsselfigur des nationalen Flügels weggebrochen. Im Wahlkampf hatte er energisch den Sheriff gegeben, gegen Kriminelle und Ausländer gepoltert und schnelle Abschiebungen, härtere Strafen, Knast für Kinder und einen „Warn- schuss-Arrest“ für jugendliche Delinquenten propagiert. Sein rhetorischer Knüppel kam als Bumerang zurück. Nun fühlen sich die Bayern als letzte Bastion. Die CSU müsse nun „in ganz Deutschland Vertreter und Sprecher der wertkonservativen Grundhaltung sein“, meint Parteichef Erwin Huber. „Auf keinen Fall“ dürfe die Union „einen Linksruck vornehmen“.

Nur wenige sehen das anders: „Wenn links meint ,modern, ethisch fundiert, sozial gerecht‘, dann ist die CDU auch links“, sagt der streitbare ehemalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler. Das große Unbehagen sei schließlich nur die Reaktion auf ein „brutales Wirtschaftssystem“, welches erlaube, „dass der Börsenwert eines Unternehmens umso höher steigt, je mehr Leute wegrationalisiert werden“.

Bei aller sozialdemokratischen Freude über die CDU-Malaise: Für die SPD ist die Lage kaum einfacher. Im Schröder- Stammland Niedersachsen hat die Partei ebenfalls verloren, landete bei nur knapp 30 Prozent. In Hessen immerhin konnte sie aus dem Tief kriechen, mit einer Spitzenkandidatin, die lange als absolute Notlösung galt, verspottet von Genossen wie Kommentatoren: Andrea Ypsilanti, nach eigenem Bekunden „eschte Hessin“ – der hübsche Nachname stammt von einem griechischen Ex-Mann. Gerhard Schröder nannte sie einmal abschätzig „Frau XY“.

Die Tochter eines Werkzeugmachers bei Opel war stets eine laute Anti-Schröderianerin, zudem der lebende Gegenentwurf zu dem so autoritären Ministerpräsidenten Koch. Die forsche 50-Jährige lebt in einer WG, gemeinsam mit Lebenspartner, Sohn und einem anderen Paar. Sie studierte in Spanien, war Stewardess bei der Lufthansa. Koch versuchte, die Angst vor einer Volksfront zu schüren, und ließ den Slogan plakatieren: „Stoppt Ypsilanti, Al- Wazir und die Kommunisten“ (Tarek Al- Wazir ist Vorsitzender der hessischen Grünen). Ypsilanti aber schaffte es, die tief zerstrittene Hessen-SPD zu einen und zu mobilisieren. Der Lohn: ein Plus von 7,6 Prozentpunkten. Am Montag vergangener Woche konnte sie erleichtert verkünden: „Die Sozialdemokratie ist wieder da.“

Kein Pakt mit der Linkspartei. Wie aber soll es weitergehen, wer soll regieren – und mit wem? Ypsilanti wie auch ihr Parteichef Kurt Beck haben versprochen, auf keinen Fall mit der Linkspartei zu paktieren. Nebulös redet Beck von einer „solidarischen Mehrheit“. Die SPD sei eine „linke Volkspartei, sie will die Mitte abdecken“.

Die Beck’sche Strategie, durch kleine Korrekturen am Schröder-Kurs die Linkspartei klein zu halten, sei letztlich gescheitert, heißt es  dagegen bei der CDU. Seine einzige Hoffnung bleibt vorerst, die FDP zu umgarnen – jene Partei, mit der Beck als Ministerpräsident im hessischen Nachbarland Rheinland-Pfalz die letzte SPDFDP- Koalition führt.

Es wird ein hartes Stück Arbeit. Die FDP der sechziger Jahre, mit der SPD- Kanzler Willy Brandt den ersten großen Politikwechsel im Lande bewerkstelligte, gibt es schon lange nicht mehr. Die Partei der Bürgerrechte und Freiheiten hat sich drastisch gewandelt – nicht rechtspopulistisch wie FPÖ und BZÖ in Österreich, sondern marktradikal. Parteichef Guido Westerwelle machte sie endgültig zum Beiboot der CDU. Wirtschaftspolitisch steht die FDP sogar rechts von der Union.

Die Chancen für eine „Ampel“, ein rotgelb- grünes Bündnis, gelten daher als höchst begrenzt. Die Westerwelle-FDP mag die Sozialdemokraten weder politisch noch kulturell – und die Grünen schon gar nicht, sind diese doch die schärfste Konkurrenz im aufgeklärten Bürgertum. Rot/Grün suche nur „einen nützlichen Idioten, der ihnen eine linke Mehrheit ermöglicht“, wettert Westerwelle erbost. „Liberal sind wir, aber blöd sind wir nicht.“ Er kann auf zwei „Ampel“-Erfahrungen Anfang der neunziger Jahre verweisen, in Brandenburg und Bremen: Die FDP verschliss sich beide Male und flog aus dem Parlament.

Auch Jörg-Uwe Hahn, Chef der hessischen FDP-Landtagsfraktion und Duzfreund von Roland Koch, treibt den Preis hoch: „Die FDP ist nicht das Stützrad von Rot/Grün.“ Doch selbst in der Partei werden bereits Stimmen laut, die vor einer allzu einseitigen Festlegung und der OneMan- Show des Ex-Spaßpolitikers Westerwelle warnen. Vorgänger Wolfgang Gerhardt ging den Chef zum Jahreswechsel schon kräftig an. Deutlicher wird der Berliner FDP-Chef Markus Löning: „Die einseitige Bindung an die CDU ist falsch.“

Der Parteispitze wäre ein anderes Farbenspiel lieber, das man in Deutschland „Jamaika“ nennt – nach der Flagge des Karibik- Staates: Schwarz, Gelb und Grün. Auch Teile der CDU favorisieren diese Variante, etwa der Hamburger CDU-Spitzenmann Ole von Beust, der Ende Februar seine Mehrheit verteidigen muss. Er hat die Grünen derart intensiv umworben, dass SPD-Kontrahent Michael Naumann schon von „politischem Stalking“ spricht (siehe Interview).

Die Grünen allerdings stünden in dieser Konstellation vor einer Zerreißprobe: Sie müssten ihren Anti-Atom-Kurs und ihre bildungspolitischen Ziele aufgeben (CDU und FDP kämpfen für das alte, dreigeteilte Schulwesen) und in Hessen den weiteren Ausbau des gigantischen Frankfurter Flughafens abnicken.

Die Phase des Immobilismus. Alles ist im Fluss, aber nichts läuft. Politologen prophezeien eine „längere Phase des Immobilismus“.

Wirklich frohlocken kann nur die Linkspartei. Dank der Erfolge in Niedersachsen und Hessen sitzt sie nun in neun der 16 deutschen Länderparlamente, dazu im Bundestag und im Europaparlament. „Das war der Durchbruch“, meint Links- partei-Guru Gregor Gysi. „Wir sind keine bloße Ostpartei mehr.“ Im Lande habe sich nun ein „5-Parteien-System“ etabliert, „und die politische Verschiebung in Deutschland wurde durch uns bewirkt“, vermeldet Linken-Chef Lothar Bisky stolz. Co-Parteichef Oskar Lafontaine scheint so viel Sieg schon unheimlich zu werden: Man liege „fast über Plan“, sagt er.

Lächelnd verweisen die Strategen der Linken darauf, wie heftig sich die SPD vor einem Vierteljahrhundert sträubte, mit den bösen Rebellen von den Grünen zu paktieren. Holger Börner, damals SPD-Ministerpräsident von Hessen, drohte, gegen die Ökopartei sogar die „Dachlatte“ zu zücken, bevor er 1985 den ersten grünen Minister Europas vereidigte – einen Burschen in Turnschuhen namens Joschka Fischer.

Die deutsche Debatte verschiebt sich. Die Deutungshoheit der Wirtschaftsprofessoren scheint gebrochen. Die Mitte wird neu ausgelotet. Aber ein „Linksruck“? So recht mögen selbst besonnene Strategen der Linkspartei nicht daran glauben. Neue Inhalte kämen nur sehr allmählich auf die Tagesordnung, meint Linken-Vordenker André Brie. Der Wahlkampf um die Kanzlerschaft von Angela Merkel jedoch hat wohl schon begonnen. Brie: „Das Spiel für 2009 ist bereits eröffnet.“

Linkspartei

Go West

Kurze Geschichte einer Bewegung: von der DDR-Staatspartei zum linken Zünglein an der Waage im vereinigten Deutschland.

Der Advent 1989 begann hektisch in Ostberlin: Am 1. Dezember strich die DDR-Volkskammer den Führungsanspruch der Sozialistischen Einheitspartei (SED) aus der Verfassung. Zwei Tage später wurden der langjährige Staatsratsvorsitzende Erich Honecker und sein Stasi-Minister Erich Mielke aus der SED ausgeschlossen. Honeckers Nachfolger Egon Krenz und das gesamte Politbüro traten daraufhin zurück. Am 9. Dezember wurde Gregor Gysi zum neuen Parteichef ernannt. Die SED wollte ihr Fortleben sichern. Sie verfügte noch über ein beträchtliches Vermögen sowie 44.500 hauptamtliche Mitarbeiter. Von den ehemals 2,2 Millionen Mitgliedern traten binnen einer Woche rund 600.000 aus.

Im Februar 1990 gab sich die SED einen neuen Namen: Partei des demokratischen Sozialismus (PDS). Im Dezember konnte sie dank einer Sonderregelung mit 2,4 Prozent in den nun gesamtdeutschen Bundestag einziehen. Die Folgejahre waren geprägt von Stasi-Enthüllungen und Flügelkämpfen. Doch vor allem im Osten genoss die Partei weiterhin starken Rückhalt. In Brandenburg erreichte man 2004 mit 28 Prozent ein Rekordergebnis, mehr als die CDU. Dort sowie in Sachsen ist die PDS bis heute die mitgliederstärkste Partei. Von 1994 bis 2002 tolerierte die Partei in Sachsen-Anhalt eine SPD-Regierung. 1998 startete die erste rot-rote Koalition in Mecklenburg-Vorpommern. In Berlin koalieren PDS und SPD seit 2002.

Im Westen dagegen bewegte sich lange nichts. Bei den Landtagswahlen im größten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, kam die PDS 2005 auf magere 0,9 Prozent. Doch im Protest gegen die „Agenda 2010“ des SPD- Kanzlers Gerhard Schröder formierte sich eine neue Partei: die Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), ein Bündnis von linken Gewerkschaftern, dissidenten Sozialdemokraten und versprengten linksextremen Gruppen (inzwischen 70.000 Parteimitglieder). PDS und WASG fanden bald zueinander. Bei der Bundestagswahl 2005 kooperierten sie bereits und errangen 8,7 Prozent. Gregor Gysi und das neue West-Zugpferd, der abtrünnige Ex-SPD-Vorsitzende Oskar Lafontaine, führen seither die 53-köpfige Bundestagsfraktion


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