TOM SCHIMMECKs ARCHIV
November 2001
 

Harry Potter
und die Drachen des Marketing

Schottland ist stolz auf seine enorm erfolgreiche Dichterin. Doch nun treten die Voldemorts der Warenwelt auf den Plan: Warner Brothers, Coca Cola und Co.
 
 
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ama, guck mal“ schreit ein Kind gleich am Eingang des Warenhauses Marks & Spencer in Edinburgh. Da ist jetzt ein großer Altar mit zauberhafter Ware errichtet worden: Potter-T-Shirts, -Mützen, -Umhänge und –Taschen, dazu Spiele aller Art, Schlüsselanhänger, Zauberstäbe und –hüte, Tagebücher, Stifte, Tassen. Mama soll kaufen. Und rollt verzweifelt mit den Augen.

Nur ein paar Blocks entfernt hat Joanne K. Rowling im Nicolson's Cafe das erste Werk der Potter-Serie geschrieben, ein Espresso auf dem Tisch, ihr Baby in der Karre neben sich. Das Cafe ist längst Ziel von Pilgerreisen. Man ist stolz auf die erfolgreiche Schottin, deren in 46 Sprachen übersetze Saga nun schon über 100 Millionen Exemplare verkauft wurde, hat sie mit Preisen und Doktorwürden überhäuft. Man. Rowlings magische Bücher sind der größte Exportschlager seit dem Schottenrock. In der chemischen Fakultät der Uni Edinburgh experimentieren Potter-Fans mit feuerroten Kristallen. Schon melden die USA den stärksten Einschlag britischer Kultur seit den Beatles.

Doch der globale Charme der schönen Bücher hat auch eine nie zuvor gesichtete Horde von Vampiren des Branding und Merchandising angelockt. Sie haben sich tausend Rechte an dem literarischen Leckerbissen gesichert. Und pürieren ihn nun bis zur Unkenntlichkeit. Die Marketing-Offensive, die letzte Woche den Start des Films in Großbritannien, den USA und Kanada begleitete, lässt selbst unerschrockene Fan erschaudern. Auch in Edinburgh bietet inzwischen jeder Supermarkt Schoko-Frösche und Bertie Botts Every Flavour Beans“ feil – in Geschmacksrichtungen von Ananas bis Zitrone. Das Fieber sind enorm. Kinozentren fahren den 152-Minuten-Streifen oft auf vier und mehr Leinwänden gleichzeitig ab, im Stundentakt, wie deutsche Intercitys. Die Kinder, die herausstolpern, sehen etwas blass aus. Schon warnen ein lokaler Filmkritiker, von dem netten, aber etwas uninspirierten Streifen allzu viel zu erwarten: Bleibt lieber zuhause und lest Bücher.“

Warner Brothers setzt alles daran, jetzt jene 1,8 Milliarden Dollar, die der bisherige Rekordhalter, das Dampfer-.Epos Titanic“, eingespielt hat, noch zu übertrumpfen. Die Totalausschlachtung der Potter-Beute ist strategisch durchgeplant. Tausende von Leinwänden wurden für den Potter-Zauber freigefegt, Folge zwei ist schon in Arbeit. Im Kielwasser tummeln sich die Hersteller von Spielzeugen, Kinderkleidung und Süßwaren, die sich von der Kitsch-Offensive gewaltige Einnahmen erhoffen. Potter-Artikel, verlautbartet die amerikanische Toy Industry Association, seien der große Hoffnungsschimmer“ der kommenden Monate. Marktforscher haben erkundet, dass mehr als die Hälfte aller Kinder, die das Rowling-Werk gelesen haben, alsbald Potter-Waren zu erwerben beabsichtigen. Auch die Erwachsenen scheinen kaufwillig zu sein. Weihnachten naht.

Schon vor einem Jahr hatte Warner Brothers Worldwide Consumer Products Lizenzen an 45 Firmen verkauft, die “Potterabilia” vermarkten wollen. Die Kampagne wird in Wellen organisiert, passend zum erscheinen der Bücher und nun des Films. Die Voldemorts der Warenwelt haben an alles gedacht: Lego hat den Hogwarts-Express auf die Gleise gesetzt, Mattel die Hogwarts-Schule nachgebaut. Die Liste sonstiger Fan-Artikel reicht von Adressbuch bis Zahnpasta. Computerspiele, Keramiken und Kuschelwesen sind en gros im Angebot, dazu Briefbeschwerer, Brillen, Besen, ja selbst ein Harry-Potter-Schampoo und das Potter-Bett mit eingebauten Bücherregal (für 1850 Dollar). Das Gedränge um den Werbeplatz vor dem Film war in Großbritannien so enorm, dass sich das Kinoerlebnis nun schnell auf drei Stunden ausdehnen kann. Allein zehn Vorfilme konnten sich einen Platz an Potters Seite erkämpfen.

Da hat selbst manch Marketing-Experte Sorge, die gewaltige Kommerzwalze könnte den letzten Geist aus dem kostbaren Produkt walzen und schließlich Überdruss, sogar Ekel erzeugen. Dass etwa Coca Cola sich für rund 300 Millionen Mark die Rechte an allen Potter-Getränken und Speisen sicherte, ist schon vielen Fans sauer aufgestoßen.

Die Brausefirma aber ficht das nicht an. Sie will jetzt das Spezielle an Harry Potter und Coca Cola“ in alle Welt verbreiten. Der junge Zauberer und das schwarze Zuckerwasser, findet Coca Cola Inc., verkörperten schließlich die gleichen Grundwerte“.

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