"Irgendwas für's Vaterland"

Rechtsradikale Anschläge häufen sich, die Gesellschaft ist hilflos. Was tun mit den Tätern? Gefühl oder Härte? Es geht nicht nur um ein paar Skinheads, es geht um eine Generation

1994 von Tom Schimmeck 
siehe auch:  Interview mit einem Skinhead 

Von den Songs, die aus dem Ghettoblaster plärren, sind nur Wortfetzen zu verstehen: "Deutschland", "Vaterland", "Sieg Heil". Die Jungs hier hören so was gerne: Skinhead-Bands wie "Volksgemurmel", "Macht & Ehre", "Landser", "Endstufe". 

Ein friedlicher Nachmittag in der "Puppenbühne", einem Jugendtreff in Halberstadt, Sachsen-Anhalt. Ein halbes Dutzend junger Männer schlürft Bier, zwei scheren sich gegenseitig das millimeterkurze Haar. Durchs Fenster sieht man eine Horde Kinder, die vorn an der Straße auf einen alten Trabbi einprügeln, daß die Pappe nur so fliegt. 

Seit einem Jahr ist der kleine Bau in der Plantage, einem Park im Zentrum von Halberstadt, für rechtsradikale Jugendliche offen: ein Tresen, rustikales Gestühl, fleckige Auslegeware, ein gewaltiger Kühlschrank für den Biernachschub. Hier verkehren Skinheads, stramme Rechte, auch ein paar Hooligans, "allet, wat 'n bißchen national drauf ist". 

"Ich bin Nationalist", sagt ein Blonder, der ganz durchschnittlich daherkommt, "und die" - er zeigt auf die Skins - "haben die gleichen Werte wie wir, wenn sie nicht voll besoffen sind." Sie erzählen von früher, von ihrem besetzten Haus anno 1991, fast wie Kriegsveteranen. Sie hatten Barrikaden gebaut, die unterste Etage zugemauert, sogar Gasmasken lagen bereit. Doch das Sondereinsatzkommando kam im Morgengrauen, als sie ihren Rausch ausschliefen. Da war es aus mit dem Haus. 

Dann saßen sie auf der Straße und bekriegten sich mit den "Schmuddels" (Punks). Einige ließen sich die Haare wachsen, tauchten ab in den Normalo-Alltag, andere sind "auf Staatsurlaub", sprich: im Gefängnis. Der Rest ist noch vereint, im Haß gegen Linke, Ausländer, gegen Gymnasiasten, Intellektuelle und "Spießertypen". "Unsere Alten", sagt ein Skin stolz, "sind Schichtklöpse" (Arbeiter). 

Ihr Ton ist resigniert. "Wir machen nur Trinkerabende", das sei "Ringelpietz mit Anfassen", motzt der Blonde. "Wenn mal was passiert, haben sie uns griffbereit", sagt ein Dicker. "Wir müssen attraktiver werden, wir sollten mal ein Kinderfest machen", witzelt der Blonde. "Mit 'nem Malwettbewerb: Das schönste Hakenkreuz", meint der Dicke. Er trägt ein Lonsdale-Shirt und weiße Schnürbänder in den Springerstiefeln, Erkennungszeichen der Nazi-Skins. Er ist, wie die meisten hier, vorbestraft, wegen versuchten Totschlags. Er hat "mal ein paar Linke plattgemacht". 

Ihre "Puppenbühne" sehen sie als kleineres Übel. Immerhin: ein eigener Ort. Es gibt einen Sozialarbeiter und ein paar Regeln: Keine Gewalt nach außen, keine Schlägereien drinnen, keine rechtsradikalen Parteien. Eines von 123 Projekten im "Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt Jugendlicher" (AgAG), das von Bonns Jugendministerin Angela Merkel gefördert wird. Ein Versuch des Staates, mit pöbelnden Skins, straffen Neonazis und Fußball-Hooligans umzugehen, auch mit linken Punks und Autonomen. Die Grenzen sind fließend. Mancher Skinhead war mal Punker, nicht alle Glatzen sind rechte "Boneheads". "SHARP-Skins" arbeiten gar mit militanten Antifaschisten zusammen, sind wahre Todfeinde der Nazis. 

Eine Antwort auf die rapide Zunahme rechter Gewalt? AgAG richtet den harten Burschen in den neuen Bundesländern Treffpunkte ein, bietet ihnen Sport, Unterhaltung und Reisen. Erfolg sei schwer meßbar, aber vorhanden, sagen die wissenschaftlichen Begleiter, über 8000 Jugendliche würden derzeit erreicht. Es gibt einzelne, fast rührende Erfolgsmeldungen: aus Neubrandenburg etwa, wo Rechtsradikale nun American Football spielen. Sie haben unlängst schwarze Spieler aus dem Asylbewerberheim angeheuert und lernen jetzt Englisch. 

Stoppt AgAG die Gewalt? "Eine Gewähr dafür gibt es überhaupt nicht", sagt Adrian Maerevoet, oberster Jugendsozialarbeiter von Sachsen-Anhalt, es gehe darum, Jugendliche "einfach mal leben zu lassen, um zu zeigen, daß man miteinander leben kann". Ihn treibt die Hoffnung, bei seiner Kundschaft irgendwann den guten Kern freizulegen. 

Ein Balanceakt, eine Gratwanderung zwischen Raum geben und draufhauen. In Sachsen-Anhalt kam der Testfall beim letzten "Herrentag" (Vatertag), als Magdeburger Jugendliche Jagd auf Afrikaner und Türken machten. Das örtliche Skinhead-Projekt, der "Brunnen", hatte 30 Jungs vorsorglich aufs Land verfrachtet. Doch die Fußball-Hooligans waren zur Stelle. Als die Skins zurückkehrten, hatten sie gerade noch Zeit, "Sieg Heil" in die Kameras zu brüllen. "Solche Vorkommnisse", sagt Maerevoet, "lassen sich mit noch so viel Sozialarbeit nicht verhindern." 

Beileibe kein Ost-Problem. Die Zahl fremdenfeindlicher Straftaten ist bundesweit enorm. Nordrhein-Westfalen meldet für 1993 insgesamt 2323 Fälle, Baden-Württemberg 791, Hessen 644, Bayern 521. Solche Taten auf die Glatzen zu schieben ist ein Abwehr-Reflex der Bürger. Unter 2971 im Jahre '93 einer fremdenfeindlichen Gewalttat Verdächtigen finden sich nur 255 Skinheads und 211 organisierte Neonazis. 84,3 Prozent der Tatverdächtigen konnten beiden Gruppen nicht zugeordnet werden. Das Gros, sagt Jugendexperte Klaus Hurrelmann, sei "allenfalls in einem dumpfen und diffusen Sinne politisch rechtsorientiert". 

Ohnehin beobachten Experten wie Verfassungsschützer einen Umbruch in der harten Szene: "Die Zahl der Glatzen geht zurück. Sie lassen sich die Haare wachsen. Aber das Problem bleibt", heißt es im Düsseldorfer Innenministerium. Und zumindest im Osten, glaubt Maerevoet, stehe das Härteste noch bevor: jene Generation, die während des großen Umbruchs in die Pubertät kam. Die hätten nur Eltern mit schwankenden Perspektiven erlebt, Lehrer ohne Stabilität und starke Persönlichkeit. "Da fehlt die Reibung, die Wand, an der man sich scheuern kann." 

Immer mehr Jugendliche, das ist in Bergen von Kommissionsberichten, Gutachten und Feldstudien nachzulesen, zeigen eine steigende Gewaltbereitschaft, wachsende Verachtung von Ausländern, Behinderten, Obdachlosen. Bis zu einem Viertel aller deutschen Grundschüler zeigt auffällige Aggressionen. Ein Drittel der Gesamtkriminalität ist inzwischen Jugendkriminalität. Neuester Rekord 1993: Berlin zählte 9043 Tatverdächtige unter 14 Jahren. 

Können Sozialarbeiter da Wunder vollbringen, können sie Faschisten mit Fingerfarben bekämpfen? Gewiß nicht allein, sagen die Ordnungshüter. In Dresden, wo die Ausländerbeauftragte letztes Jahr mit 19 Rechtsradikalen auf Staatskosten nach Israel reiste, versucht die Kripo den harten Weg. Eine "Sonderkommission Rechtsextremismus", die "Soko Rex", im Juli 1991 eingerichtet, hat inzwischen über 1300 Verdächtige im Computer, Hunderte von Hausdurchsuchungen organisiert und Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Kripo-Leute schlagen sich auf die Brust. In Sachsen sei die Zahl ausländerfeindlicher Straftaten um 72 Prozent, unter Jugendlichen gar um 83 Prozent zurückgegangen. 

Doch auch Polizei und Justiz sind oft hilflos. Kölns Polizei plakatierte peinlich volksnah: "Nur Hirnis bauen Scheiß gegen Ausländer." Als im Juli drei Hooligans wegen der Magdeburger Schwarzen-Hatz zu harten Strafen verurteilt wurden, erklärte die Richterin, bei denen sei "staatlich geleitete Erziehung notwendig". 

Nur die Kombination aus Gefühl und Härte, da scheinen die meisten Experten einig, hat überhaupt Chancen auf Erfolg. Viel auffälliger als alle Gewalt, sagt Christina Großmann, Sozialpädagogin an der Gesamtschule Hamburg-Lohbrügge, sei, daß "die soziale Kontrolle erheblich zurückgegangen" ist, "bedrohlich viele Kinder" seien "total unbetreut". 

Lohbrügge ist Deutschlands wohl berüchtigtstes Rekrutierungsrevier für Rechtsradikale, schon Neonaziführer Michael Kühnen schlug hier 1980 sein Quartier auf. Die Neonazis nehmen sich Zeit für Jugendliche. Werber der "Nationalen Liste" von Kühnen-Nachfolger Christian Worch spielen Fußball mit den Neun- und Zehnjährigen. "Da entstehen Bindungen", beobachtet Frau Großmann. "Politik kommt erst nach und nach in Nebensätzen." 

In Rufweite des Nazitreffpunkts arbeitet ein Sozialarbeiter mit ausgestiegenen Skins. Die sind dankbar für das Angebot. Aber der "Streß mit den Bullen" hat auch gewirkt - weil klar war, wo der Hammer hängt: "Wenn man über 14 ist", sagt einer, "hagelt es Strafanzeigen." Das weiß auch der dicke Skin aus Halberstadt. "Heute ist jeder auf Bewährung", meint er seufzend, "wer kann sich da noch was leisten?" 

 © Schimmeck