TOM SCHIMMECKs ARCHIV
Februar 2001
 

Requiem für Lego

Einst war das Plastikding aus Dänemark der Stein aller Weisen von morgen. Doch der Markt hat ihn aller Genealität beraubt .
 
 
E

s war einmal ein Steinchen aus Plastik, rechteckig, robust und gut. In jedem Kinderzimmer gab es hunderte davon. Wir Kinder schufen uns daraus alles, was wir erträumten: Häuser, Autos, Brücken, Türme, Schlösser, Ställe, Schiffe. Wie irre haben wir gebaut, immer drauflos, immer anders. Es gab ja keine Pläne, keine Regeln. Mit Lego-Steinen konnten wir die Welt buchstäblich begreifen. Selbst die lieben Eltern fanden sie prima, weil sie so sauber, sicher und simpel waren. Und die Kinderchen immer hübsch beschäftigt.

Der schlaue Leser ahnt schon: Gleich werden Tränen fließen. Hier kommen sie: Neulich ging ich an einem Laden vorbei, auf dem groß Lego stand. Ich trat ein und war perplex. Da gab es nur Klamotten, Marke “LegoWear”, modisch, trendy und “allergologisch” getestet. Kein Stein nirgends. Wehmut umwölkte mein Herz. Die Verkäuferin sah meine Bestürzung, lächelte gar lieblich und reichte mir einen Lego-Katalog. “Hier”, sprach sie und packte Trost in die Stimme, “hier ist alles drin.”

Aber leider machte der Katalog alles nur noch schlimmer. Das Ding ist 96 Seiten stark, doch die genial genoppten Quader fristen darin ein trauriges Schattendasein. Es wimmelt von Disney-Viechern, Püppchen und rosafarbenem Kleinmädchenkitsch. Ritter, Raumfahrer und Roboter haben Legoland erobert. Lego liefert fertige Welten, fix und fertig vorgepresst. Es soll 102 981 500 Möglichkeiten geben, sechs klassische Acht-Knopf-Steine zu kombinieren. Modernes Lego-Gerät dagegen wird streng nach Bauplan montiert. Auf einem Weg. Mit null Phantasie.

Eine schnelle Recherche brachte triste Gewissheit: Legoland ist zum Empire geworden, Auch Lego-Manager schwafeln heute von Synergien, “profit centern” und “cross-branding”, haben eine “vision” und eine “mission”.

Welch ein Verlust. Gewiss ist es hoffnungslos romantisch, hier ein Requiem für die schönen schlichten Steine anzustimmen. So funktioniert halt Erfolg. Irgendwann kommt immer ein Marketing-Fuzzi und dröhnt: “We must make more millions.” Lego-Spielzeug wird heute von Brasilien bis Südkorea fabriziert und in 138 Ländern verkauft. Im Schnitt kommen auf jeden Erdenbürger rund 52 Lego-Teile.

Mit Steinchen allein wäre das kaum zu schaffen gewesen. Das Spielzeugbusiness ist schließlich kein Kinderspiel. Also gibt es Lego-Armbanduhren und Lego-Software, die so penetrant Ermunterungen kräht, dass meine Kinder prompt die Maus fallen lassen. Das chice MIT Media Lab hat für Lego “intelligente Steine” erfunden. Bald kommt “Lego Studios” auf den Markt, ein mit Steven Spielberg entwickeltes Filmemacher-Kit. Neues “rear-seat entertainment” fürs Auto ist in Arbeit. Auch eine Allianz mit Microsoft darf da nicht fehlen. Und im “Lego World Club” dürfen die Kinder-Konsumenten darüber chatten, wie super das alles ist.

“Die Kinder werden jünger älter”, erklärt die Lego-PR-Chefin. Ich antworte: Das liegt an euch und euren Geschäftsfreunden. Weil ihr Kindern tausend Billig-Helden und tonnenweise Fertigware liefert. Aber keine Steine mehr, aus denen sie sich ihre Welt bauen können.


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